Montag, 23. Februar 2009
Betrug?
wanderstein, 18:13h
Mal ehrlich Leute, wer von euch fühlt sich vom Leben nicht betrogen? Auch wenn das natürlich keiner zugibt, in unserem tiefsten Inneren sind wir der Meinung, etwas besonderes zu sein, etwas zu haben, das mit Ruhm, Reichtum und vor allem gefühltem Glück entlohnt zu werden es wert ist. Diametral dem gegenüber steht die Realität, in der wir nichts sind, gequält von dem Wunsch, etwas zu werden. Wer die Millionen hat, hat vor lauter Arbeit keine Zeit mehr zum Leben. Wer Zeit zum Leben hat, dem fehlt in der Regel die nötige Marie. Wer Marie und Zeit hat, den kennt meist jeder, und er wird seiner Intimität beraubt seines Glückes auch nicht froh.
Es ist müßig von Träumen zu sprechen und von denjenigen, die sie in uns erweckten, den Eltern und Großeltern, den Medien und Künstlern, den Lehrern, Freunden und Feinden – als einzelner die Masse zu verurteilen hat stets nur dem einzelnen Nachteile gebracht, obwohl er streng genommen ein wenig Recht dazu hätte. Natürlich müssen wir uns auf die Fahne schreiben, dass wir so dumm waren den Käse zu glauben, den uns nachweislich Dümmere als wir selbst indoktriniert haben. Unsere Schuldigkeit ist die des größeren Affen, der dem Affen nachrennt, der es selbst nicht besser weiß. Der Funke der Abartigkeit, der in diesem System steckt, lässt sich in der Tatsache ausmachen, dass wir ja durch Nachahmung lernen – dass wir zunächst gar keine andere Wahl haben, als zu imitieren, was wir erleben, um ein Bewusstsein zu entwickeln, das in der Lage ist, die Champagnerträume als das zu entlarven, was sie sind: Ketten und Peitschen, die uns im Zaum halten sollen.
Der Mechanismus ist simpel wie einfach: Sei so und so, dann bekommst du das und das. Sei wie du willst, und du bekommst gar nichts. Vom ersten Eis, das das Kind erhält, wenn es sich dafür eine halbe Stunde während des Einkaufens so benimmt, wie die Eltern das wünschen bis hin zur guten Note, die nur nach gemessener und gewerteter Leistung erteilt wird, fördert alles die Macht des Spruches: „Das Leben ist kein Wunschkonzert“, mit dem wir dann in alten Tagen daran erinnert werden, dass wir es vorher hätten wissen müssen. Die Perversität darin liegt wie schon gesagt in dem Umstand, dass wir es vorher nicht wissen hätten können – zumindest nicht sehr viel vorher. Der Fokus liegt hier ganz klar auf der Gesellschaft: in die muss gepasst werden um jeden Preis. Und es ist viel einfacher, Subjekte zu kontrollieren und sie damit wenigstens teilweise zu objektivieren, als sie gewähren zu lassen in ihrem Wunsch nach Einzigartigkeit.
Man muss heute lange suchen, um Musik zu finden, die nicht ein Teil des Mainstreams ist – ein Buch zu finden, das etwas wagt – einen Denker zu finden, der wirklich etwas Einzigartiges zu sagen hat. Für all jene bestehen zumeist weder die Öffentlichkeit noch, daraus resultierend, die nötigen Mittel. Wer dem Klischee nicht entspricht, dessen Signale werden nicht verstanden, weil der Rest sich das selbst verändern längst abgewöhnt hat und glaubt, es gäbe einen einheitlichen Signalcode, den zu verwenden jeder die Pflicht hat, was dazu führt, dass ihm die Möglichkeit verlustig geht, sich in einen anderen einzufühlen. Alles muss gar so sein, als dass er selbst, dem ja alle Träume genommen wurden, sich möglichst wenig anzustrengen braucht, denn immerhin wurde er bereits vom Leben genug bestraft. Eine solche Gesellschaft von objektivierten Subjekten verkommt natürlich zum Gefängnis, dessen Ketten die meisten deswegen nicht spüren, weil sie das sich Rühren längst verlernt haben.
Dennoch ist Kulturpessimismus nicht angebracht, denn er selbst ist zu einer Peitsche geworden, ist in das Klischee des Intelektuellen so sehr eingewoben, dass er mittlerweile selbst dazu beiträgt, alles Neue zu vergraulen und das Verweilen an der Oberfläche beobachtbarer Phänomene, schlicht Oberflächlichkeit zu begünstigen. Wir müssen optimistisch sein – nicht um das, was ist zu retten – das käme ja einer Akzeptanz der Ketten gleich – sondern optimistisch in dem Wunsch, die Ketten einfach abzulegen, sich nicht mehr leiten zu lassen von den Schaumträumen der Vergangenheit. Das bedeutet nicht, nichts mehr zu verdienen, jegliche Ordnung zerstören zu wollen und ganz ein Anarchist zu werden. Auch das wäre nichts anderes als einer jener törichten Wünsche der vergangenen Tage, nämlich der nach absoluter Freiheit. Das trügerische daran ist, dass eben diese Freiheit nur dann verwirklicht werden kann, wenn andere in Ketten leben – insofern begünstigt selbst der ehrlichste Anarchist die Ketten, indem er sie als ihr Gegenteil in ihrer Substantialität akzeptiert. Die Ketten haben aber keine Substanz – sie sind haltlose Mären. Ablegen heißt in diesem Sinne also auflösen, und wer auflöst, der kann ruhig beibehalten, was am Tragen der Ketten angenehm war, spießbürgerlich anmuten ohne Spießbürger zu sein.
Optimismus scheint demnach die Parole, optimistisch, dass wir es schaffen, uns selbst für die Dinge zu entscheiden, die wir tun wollen und nicht versuchen, etwas zu sein, das wir nicht sind. Denn anstelle des Subjektiven kann durch Verstellung nur ein Objektives treten – wer nicht er selbst ist, der ist niemand – er wird zum Ding, zu einem Apparat, der entsprechend seiner Programmierung manipuliert werden kann.
Was wäre nun aber, nehmen wir den utopischen Fall, wenn jeder Mensch auf Erden nun auf einmal damit begänne zu fragen, wie er nun wirklich in seiner Subjektivität beschaffen ist? Es wäre unweigerlich ein großes Chaos, hervorgerufen durch eine globale Identitätskrise. „Mensch sein“ würde neu bestimmt werden und damit alles, was menschlich ist, Währungen, Gesetze, Ansprüche, Verhaltensweisen, Ländergrenzen kurz: das Chaos wäre gewaltig. Darum ist es ein Glück, dass das so niemals geschieht. Was es uns aber anzeigt ist, dass wir diejenigen, die noch in Ketten leben, niemals verachten dürfen. Eine Verwandlung der Welt ad hoc ist ja auch nur so ein Traum, den wir einmal träumten, und in welchem wir selbst der Urheber dieser Veränderung waren. Wäre unser Selbst aber der Urheber einer Veränderung in einem anderen, dann wäre dieser ja fremdbestimmt und damit in unserem Sinne objektiviert – der hehre Wunsch verkommt so selbst zur Kette.
Freiheit kann letztendlich nur in individualistischem Sinne erreicht werden, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, dass wir Menschen, die gepeinigt und versklavt werden, nicht helfen sollten. Denn die Möglichkeit zu einer inneren Freiheit ist für die Masse an einen gewissen sozialen Bewegungsspielraum geknüpft. Der Mensch braucht einen gewissen Grad physischer Freiheit, um in sich überhaupt den Raum zu spüren, an etwas anderes zu denken als seine Ketten. Wie viel Freiheit der einzelne braucht, kann nicht generalisiert werden. Wohl aber legt der gesunde Menschenverstand es nahe, dass beispielsweise ein Junge im Kongo, der mit acht Jahren zum Soldaten wird und mit neun Jahren im Kampf erschossen, nicht einmal alt genug wurde, um das Konzept hinter dieser Erläuterung zu verstehen; dass Menschen in diesen extremen Situationen, die vielerorts in der Welt herrschen, keine Chance zur Freiheit haben und als Objekte zu leben und zu sterben gezwungen sind.
Somit haben wir zwei Arten von Missständen in der Welt: Grundlegende Missstände wie Unterdrückung, Sklaverei, mangelnde Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern, Gewalt und Korruption; und wir haben sekundäre Missstände, die die grundlegenden Missstände begünstigen, also Vorurteile, Engstirnigkeit, Spießbürgertum, Fundamentalismus, übertriebener Traditionalismus, mangelnde Bildung usw.
Im Grunde lässt sich alles Gesagte auf ein Grundgefühl reduzieren, nämlich eine zu absoluten Irrationalität hochstilisierte Angst. Dabei ist es äußerst schwer zu sagen, wovor sich der einzelne so sehr fürchtet, und er wird es selbst am besten wissen, erfassbar ist jedoch, dass diese globale Paranoia gewaltigen Schaden anrichtet. Weil wir uns wie eine Bande von Feiglingen verhalten, enttarnt sich die Welt als ein einziges Schisma. Schweifen wir in der Zeit zurück, mag es schon vor Millionen von Jahren so gewesen sein, dass die eine Gruppe Prähistorier die andere vertrieb, um ihr Überleben zu sichern. Die Rahmenbedingungen haben sich mittlerweile jedoch grundlegend geändert – die Ernährung der Welt ist möglich; sie wird lediglich nicht durchgeführt. Mit der oft angeführten Theorie der Evolution und ihrer nur sehr langsam und vor allem chaotisch fortschreitenden Entwicklung können wir uns nicht mehr heraus reden – wir haben Bewusstsein entwickelt und mit der Hilfe des bewusstseinsfördernden Prozesses Sprache verschiedene Systeme zur Kompensation unserer biologischen Unzulänglichkeiten. Wir können nicht rein logisch operieren, das ist wahr – aber wir können uns auch kein irrationales Verschließen der Augen mehr leisten – das konnten wir im Grunde noch nie.
Die Welt hat uns betrogen, das ist wahr. Wir hatten keine andere Wahl, als uns betrügen zu lassen, auch das ist wahr. Aber jetzt müssen wir damit beginnen, uns diese Wahl zu erarbeiten. Wir müssen der Welt nicht vergeben, wir dürfen sie nur nicht mehr verurteilen. Wir müssen uns regen, auch wenn es schmerzt, die Ketten zu spüren. Denn nur wer sie spürt, nur wer empfindsam ist, kann sie verschwinden machen. Und Empfindsamkeit, da gibt es keine Illusionen, ist eng an die Fähigkeit geknüpft, Leiden zu zulassen. Wer also aufwacht, dem wird es wahrscheinlich zunächst schlecht gehen. Aber dies ist der Preis für die Chance, vielleicht doch irgendwann einmal eine wirkliche Sonne scheinen zu fühlen, und er ist nicht zu hoch bezahlt.
Es ist müßig von Träumen zu sprechen und von denjenigen, die sie in uns erweckten, den Eltern und Großeltern, den Medien und Künstlern, den Lehrern, Freunden und Feinden – als einzelner die Masse zu verurteilen hat stets nur dem einzelnen Nachteile gebracht, obwohl er streng genommen ein wenig Recht dazu hätte. Natürlich müssen wir uns auf die Fahne schreiben, dass wir so dumm waren den Käse zu glauben, den uns nachweislich Dümmere als wir selbst indoktriniert haben. Unsere Schuldigkeit ist die des größeren Affen, der dem Affen nachrennt, der es selbst nicht besser weiß. Der Funke der Abartigkeit, der in diesem System steckt, lässt sich in der Tatsache ausmachen, dass wir ja durch Nachahmung lernen – dass wir zunächst gar keine andere Wahl haben, als zu imitieren, was wir erleben, um ein Bewusstsein zu entwickeln, das in der Lage ist, die Champagnerträume als das zu entlarven, was sie sind: Ketten und Peitschen, die uns im Zaum halten sollen.
Der Mechanismus ist simpel wie einfach: Sei so und so, dann bekommst du das und das. Sei wie du willst, und du bekommst gar nichts. Vom ersten Eis, das das Kind erhält, wenn es sich dafür eine halbe Stunde während des Einkaufens so benimmt, wie die Eltern das wünschen bis hin zur guten Note, die nur nach gemessener und gewerteter Leistung erteilt wird, fördert alles die Macht des Spruches: „Das Leben ist kein Wunschkonzert“, mit dem wir dann in alten Tagen daran erinnert werden, dass wir es vorher hätten wissen müssen. Die Perversität darin liegt wie schon gesagt in dem Umstand, dass wir es vorher nicht wissen hätten können – zumindest nicht sehr viel vorher. Der Fokus liegt hier ganz klar auf der Gesellschaft: in die muss gepasst werden um jeden Preis. Und es ist viel einfacher, Subjekte zu kontrollieren und sie damit wenigstens teilweise zu objektivieren, als sie gewähren zu lassen in ihrem Wunsch nach Einzigartigkeit.
Man muss heute lange suchen, um Musik zu finden, die nicht ein Teil des Mainstreams ist – ein Buch zu finden, das etwas wagt – einen Denker zu finden, der wirklich etwas Einzigartiges zu sagen hat. Für all jene bestehen zumeist weder die Öffentlichkeit noch, daraus resultierend, die nötigen Mittel. Wer dem Klischee nicht entspricht, dessen Signale werden nicht verstanden, weil der Rest sich das selbst verändern längst abgewöhnt hat und glaubt, es gäbe einen einheitlichen Signalcode, den zu verwenden jeder die Pflicht hat, was dazu führt, dass ihm die Möglichkeit verlustig geht, sich in einen anderen einzufühlen. Alles muss gar so sein, als dass er selbst, dem ja alle Träume genommen wurden, sich möglichst wenig anzustrengen braucht, denn immerhin wurde er bereits vom Leben genug bestraft. Eine solche Gesellschaft von objektivierten Subjekten verkommt natürlich zum Gefängnis, dessen Ketten die meisten deswegen nicht spüren, weil sie das sich Rühren längst verlernt haben.
Dennoch ist Kulturpessimismus nicht angebracht, denn er selbst ist zu einer Peitsche geworden, ist in das Klischee des Intelektuellen so sehr eingewoben, dass er mittlerweile selbst dazu beiträgt, alles Neue zu vergraulen und das Verweilen an der Oberfläche beobachtbarer Phänomene, schlicht Oberflächlichkeit zu begünstigen. Wir müssen optimistisch sein – nicht um das, was ist zu retten – das käme ja einer Akzeptanz der Ketten gleich – sondern optimistisch in dem Wunsch, die Ketten einfach abzulegen, sich nicht mehr leiten zu lassen von den Schaumträumen der Vergangenheit. Das bedeutet nicht, nichts mehr zu verdienen, jegliche Ordnung zerstören zu wollen und ganz ein Anarchist zu werden. Auch das wäre nichts anderes als einer jener törichten Wünsche der vergangenen Tage, nämlich der nach absoluter Freiheit. Das trügerische daran ist, dass eben diese Freiheit nur dann verwirklicht werden kann, wenn andere in Ketten leben – insofern begünstigt selbst der ehrlichste Anarchist die Ketten, indem er sie als ihr Gegenteil in ihrer Substantialität akzeptiert. Die Ketten haben aber keine Substanz – sie sind haltlose Mären. Ablegen heißt in diesem Sinne also auflösen, und wer auflöst, der kann ruhig beibehalten, was am Tragen der Ketten angenehm war, spießbürgerlich anmuten ohne Spießbürger zu sein.
Optimismus scheint demnach die Parole, optimistisch, dass wir es schaffen, uns selbst für die Dinge zu entscheiden, die wir tun wollen und nicht versuchen, etwas zu sein, das wir nicht sind. Denn anstelle des Subjektiven kann durch Verstellung nur ein Objektives treten – wer nicht er selbst ist, der ist niemand – er wird zum Ding, zu einem Apparat, der entsprechend seiner Programmierung manipuliert werden kann.
Was wäre nun aber, nehmen wir den utopischen Fall, wenn jeder Mensch auf Erden nun auf einmal damit begänne zu fragen, wie er nun wirklich in seiner Subjektivität beschaffen ist? Es wäre unweigerlich ein großes Chaos, hervorgerufen durch eine globale Identitätskrise. „Mensch sein“ würde neu bestimmt werden und damit alles, was menschlich ist, Währungen, Gesetze, Ansprüche, Verhaltensweisen, Ländergrenzen kurz: das Chaos wäre gewaltig. Darum ist es ein Glück, dass das so niemals geschieht. Was es uns aber anzeigt ist, dass wir diejenigen, die noch in Ketten leben, niemals verachten dürfen. Eine Verwandlung der Welt ad hoc ist ja auch nur so ein Traum, den wir einmal träumten, und in welchem wir selbst der Urheber dieser Veränderung waren. Wäre unser Selbst aber der Urheber einer Veränderung in einem anderen, dann wäre dieser ja fremdbestimmt und damit in unserem Sinne objektiviert – der hehre Wunsch verkommt so selbst zur Kette.
Freiheit kann letztendlich nur in individualistischem Sinne erreicht werden, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, dass wir Menschen, die gepeinigt und versklavt werden, nicht helfen sollten. Denn die Möglichkeit zu einer inneren Freiheit ist für die Masse an einen gewissen sozialen Bewegungsspielraum geknüpft. Der Mensch braucht einen gewissen Grad physischer Freiheit, um in sich überhaupt den Raum zu spüren, an etwas anderes zu denken als seine Ketten. Wie viel Freiheit der einzelne braucht, kann nicht generalisiert werden. Wohl aber legt der gesunde Menschenverstand es nahe, dass beispielsweise ein Junge im Kongo, der mit acht Jahren zum Soldaten wird und mit neun Jahren im Kampf erschossen, nicht einmal alt genug wurde, um das Konzept hinter dieser Erläuterung zu verstehen; dass Menschen in diesen extremen Situationen, die vielerorts in der Welt herrschen, keine Chance zur Freiheit haben und als Objekte zu leben und zu sterben gezwungen sind.
Somit haben wir zwei Arten von Missständen in der Welt: Grundlegende Missstände wie Unterdrückung, Sklaverei, mangelnde Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern, Gewalt und Korruption; und wir haben sekundäre Missstände, die die grundlegenden Missstände begünstigen, also Vorurteile, Engstirnigkeit, Spießbürgertum, Fundamentalismus, übertriebener Traditionalismus, mangelnde Bildung usw.
Im Grunde lässt sich alles Gesagte auf ein Grundgefühl reduzieren, nämlich eine zu absoluten Irrationalität hochstilisierte Angst. Dabei ist es äußerst schwer zu sagen, wovor sich der einzelne so sehr fürchtet, und er wird es selbst am besten wissen, erfassbar ist jedoch, dass diese globale Paranoia gewaltigen Schaden anrichtet. Weil wir uns wie eine Bande von Feiglingen verhalten, enttarnt sich die Welt als ein einziges Schisma. Schweifen wir in der Zeit zurück, mag es schon vor Millionen von Jahren so gewesen sein, dass die eine Gruppe Prähistorier die andere vertrieb, um ihr Überleben zu sichern. Die Rahmenbedingungen haben sich mittlerweile jedoch grundlegend geändert – die Ernährung der Welt ist möglich; sie wird lediglich nicht durchgeführt. Mit der oft angeführten Theorie der Evolution und ihrer nur sehr langsam und vor allem chaotisch fortschreitenden Entwicklung können wir uns nicht mehr heraus reden – wir haben Bewusstsein entwickelt und mit der Hilfe des bewusstseinsfördernden Prozesses Sprache verschiedene Systeme zur Kompensation unserer biologischen Unzulänglichkeiten. Wir können nicht rein logisch operieren, das ist wahr – aber wir können uns auch kein irrationales Verschließen der Augen mehr leisten – das konnten wir im Grunde noch nie.
Die Welt hat uns betrogen, das ist wahr. Wir hatten keine andere Wahl, als uns betrügen zu lassen, auch das ist wahr. Aber jetzt müssen wir damit beginnen, uns diese Wahl zu erarbeiten. Wir müssen der Welt nicht vergeben, wir dürfen sie nur nicht mehr verurteilen. Wir müssen uns regen, auch wenn es schmerzt, die Ketten zu spüren. Denn nur wer sie spürt, nur wer empfindsam ist, kann sie verschwinden machen. Und Empfindsamkeit, da gibt es keine Illusionen, ist eng an die Fähigkeit geknüpft, Leiden zu zulassen. Wer also aufwacht, dem wird es wahrscheinlich zunächst schlecht gehen. Aber dies ist der Preis für die Chance, vielleicht doch irgendwann einmal eine wirkliche Sonne scheinen zu fühlen, und er ist nicht zu hoch bezahlt.
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Montag, 10. November 2008
Von der Liebe III
wanderstein, 22:49h
Wer mich einen Narren schilt, weil ich jung bin und das Leben einen Sturm nenne, der ist selbst ein Narr. Wer mich einen Narren schilt, weil ich stürme und dränge, der soll mein Schwert spüren, denn ich bin des Mordes fähig, um des Lebens willen. „Und Schlag auf Schlag! Wird ich zum Augenblicke sagen…“
Schelten soll man die, die das Leben verkehren, nicht ihrer Natur gemäß sind, nicht ihrem Willen gemäß leben. „Do what you wilt, shall be all of the law. Love shall be the law, love under wilt.“ Gescholten soll derjenige werden, der wider besseres Wissen handelt und durch Belehrung nicht zur Vernunft gebracht werden kann. Ihn muss man durch die Macht der Gefühle zwingen. Nicht alle können weise Lehrer und Buddhas sein, einige von uns müssen sich mit dem Schwert durch das Schwert um diejenigen kümmern, die nicht den Pfad der Selbsterkenntnis beschreiten, damit die Lehrer lehren können und die Buddhas lange genug leben, um erleuchtet zu werden. Einen mittleren Weg beschreiten kann nur derjenige, der links und rechts von sich etwas hat.
Wer nichts und niemanden hat, der hat auch keinen Weg. Etwas muss schon besessen werden, weil man nur so weiß, wo man ist. Man kann nur gehen, wenn man einen Ort hat, den man verlässt. Man kann nur dann nicht anhaften, wenn es Dinge gibt, an denen man anzuhaften vermeidet. Leiden gehört zum Leben und wird daraus niemals verschwinden, weil dieses mittelmäßige Einerlei kein Leben wäre. Maschinen leiden nicht.
Verdammt, ich will mein Recht auf Leiden, mein Recht auf Sturm, mein Recht auf Blut und Boden in meiner Seele. Es ist das Recht gegen sich selbst Krieg zu führen, das Recht, uneins mit sich zu sein, das Recht sich zu spalten. Es ist das Recht die Liebe zu verlieren und trotzdem zu leben, das Recht, Hitler zu sein und sich trotzdem zu ändern. Es ist das Recht, die Meinung der Welt über den Haufen zu schießen und die eigene anstelle zu setzen. Es ist das Recht zu bluten. Welches Recht habe ich, wenn nicht dieses?
„Sex ist eine Schlacht. Liebe ist Krieg.“ Mann und Frau, der Gegensatz, Materie und Antimaterie, so stark in ihrer Wechselwirkung, dass sie sogar Leben hervorbringen können. Ein Kampf, der zu neuem Leben führt, aber „le petit mort“ genannt wird. Vollkommenheit ist nicht lebendig und schafft auch nichts. Wozu ist sie also zu gebrauchen? Wir brauchen sie vielleicht nur, um Krieg gegen sie zu führen und uns in unserer Unvollkommenheit ihr gegenüber zu behaupten. Tod und Verderben beschwören wir herauf, um in wildem Tanze ihr zu sagen, wie sehr wir doch unsere Unvollkommenheit lieben und das Vollkommene verabscheuen – und das sind Worte von einem, der Platon sehr liebt.
Vor dem Blut kommt der Wille, jenes seltsame Gebilde, dass wir unser eigen nennen, und das bei genauer Untersuchung nicht zu finden ist. Wo ist er, dieser Wille, wenn wir verzweifelt nach Liebe schreien, in den Tiefen der Nacht? Ihn müssen wir suchen. Dort, wo er ist, werden wir die Macht finden, uns gegen das Vollkommene zu behaupten.
Schelten soll man die, die das Leben verkehren, nicht ihrer Natur gemäß sind, nicht ihrem Willen gemäß leben. „Do what you wilt, shall be all of the law. Love shall be the law, love under wilt.“ Gescholten soll derjenige werden, der wider besseres Wissen handelt und durch Belehrung nicht zur Vernunft gebracht werden kann. Ihn muss man durch die Macht der Gefühle zwingen. Nicht alle können weise Lehrer und Buddhas sein, einige von uns müssen sich mit dem Schwert durch das Schwert um diejenigen kümmern, die nicht den Pfad der Selbsterkenntnis beschreiten, damit die Lehrer lehren können und die Buddhas lange genug leben, um erleuchtet zu werden. Einen mittleren Weg beschreiten kann nur derjenige, der links und rechts von sich etwas hat.
Wer nichts und niemanden hat, der hat auch keinen Weg. Etwas muss schon besessen werden, weil man nur so weiß, wo man ist. Man kann nur gehen, wenn man einen Ort hat, den man verlässt. Man kann nur dann nicht anhaften, wenn es Dinge gibt, an denen man anzuhaften vermeidet. Leiden gehört zum Leben und wird daraus niemals verschwinden, weil dieses mittelmäßige Einerlei kein Leben wäre. Maschinen leiden nicht.
Verdammt, ich will mein Recht auf Leiden, mein Recht auf Sturm, mein Recht auf Blut und Boden in meiner Seele. Es ist das Recht gegen sich selbst Krieg zu führen, das Recht, uneins mit sich zu sein, das Recht sich zu spalten. Es ist das Recht die Liebe zu verlieren und trotzdem zu leben, das Recht, Hitler zu sein und sich trotzdem zu ändern. Es ist das Recht, die Meinung der Welt über den Haufen zu schießen und die eigene anstelle zu setzen. Es ist das Recht zu bluten. Welches Recht habe ich, wenn nicht dieses?
„Sex ist eine Schlacht. Liebe ist Krieg.“ Mann und Frau, der Gegensatz, Materie und Antimaterie, so stark in ihrer Wechselwirkung, dass sie sogar Leben hervorbringen können. Ein Kampf, der zu neuem Leben führt, aber „le petit mort“ genannt wird. Vollkommenheit ist nicht lebendig und schafft auch nichts. Wozu ist sie also zu gebrauchen? Wir brauchen sie vielleicht nur, um Krieg gegen sie zu führen und uns in unserer Unvollkommenheit ihr gegenüber zu behaupten. Tod und Verderben beschwören wir herauf, um in wildem Tanze ihr zu sagen, wie sehr wir doch unsere Unvollkommenheit lieben und das Vollkommene verabscheuen – und das sind Worte von einem, der Platon sehr liebt.
Vor dem Blut kommt der Wille, jenes seltsame Gebilde, dass wir unser eigen nennen, und das bei genauer Untersuchung nicht zu finden ist. Wo ist er, dieser Wille, wenn wir verzweifelt nach Liebe schreien, in den Tiefen der Nacht? Ihn müssen wir suchen. Dort, wo er ist, werden wir die Macht finden, uns gegen das Vollkommene zu behaupten.
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Mittwoch, 30. Juli 2008
Von der Liebe II - Leiden
wanderstein, 16:50h
„Hier ist die Schönheit eines Augenblicks
und sein elendes Verwelken
die Höhe von Gefühlen
und die Werte, die nichts gelten
hier ist die Angst vor der Wahrheit
der Zwang sich zu belügen
das Brennen der Verzweiflung
und die Kunst, sich zu betrügen“
- Böhse Onkelz, Erkennen sie die Melodie, „Schwarzes Album“ 1993
Warum muss es immer tragisch enden? Es ist so unendlich bitter und leidhaft, das Lieben. Kein Tag vergeht, an dem man sich nicht den Tod wünscht, der als einziger dazu in der Lage scheint, all das Leiden zu beenden, all das vergessen zu machen, was man verloren hat oder sich gegenseitig für immer versagt. Welcher Trost soll denn in dem Wissen liegen, dass das Leben Leiden ist, wenn man mit diesem Leid doch unendlich alleine das eigene Leben zu ertragen sich anschickt? „Wenn du lachst, lacht die ganze Welt mit dir, aber wenn du weinst, weinst du allein“, heißt es, und es ist wahr. Wer kann es schon aushalten, einen Menschen in derartigem Zustand zu erleben? Schon das Lesen dieser Zeilen bereitet Unbehagen, weil man das Gesagte lieber nicht wüsste. Wie muss erst die leibliche Anwesenheit eines solcher Art Leidenden auszuhalten sein… es bedarf schon einiger Stärke, um diesen Sog der Unendlichkeit, der Auflösung, der erdrückenden Schwere des Nichts zu entgehen und nicht von ihm erfasst und mitgezogen zu werden. Wie, wenn man anderen nicht von seiner Last erzählen und selbst sie nicht absetzen kann, soll man auch nur noch einen Schritt nach vorne tun? Woher kommen die Antworten, wenn die Fragen nur noch aus purer Verzweiflung bestehen?
So ist es doch, die Welt fürchtet sich vor einem wahrhaft Liebenden genauso wie vor dem wahrhaft Leidenden… Intensität und selbst verzehrendes Feuer wird allenfalls aus der Distanz des neutralen Beobachters genossen… aus diesem Grunde wird die Literatur geschätzt: man verbrennt nicht so sehr dabei, wie wenn man es selbst erlebt. Und dennoch kann gesagt werden, dass nur derjenige wirklich lebt, der es selbst erlebt. Wer es nicht kann, der mag davon lesen, aber wer es kann, der nehme verdammt nochmal seinen Mut zusammen und werfe sich in den Wahnsinn seiner Gefühle!
Mein Lieben ist mein Schwert und zugleich alle meine Sünden. Es ist, was mich am Leben hält und gleichzeitig meinen Tod sicher macht, denn wer streitet, wird irgendwann fallen. Alle Rosen und schönen Zeilen, nichts haben sie genutzt, die ungezählten Briefe, Gedichte, Geschichten. Die tausend Ansätze, durch das Schreiben zu erfassen, was wirklich geschehen ist. Nichts als der Wahn des Schmerzes eines gebrochenen Herzens brennt sich in die Zeilen und will keinen Anfang und kein Ende kennen, will sein, als wäre er immer schon gewesen. Aber um welchen Preis auch immer, es muss erlebt werden, weil nur, was erlebt wurde, gelebt wurde. Und gelebt haben wollen wir am Ende doch alle. Blut darauf.
Wenn es nur das Feuer der Liebesnacht ist, dass zwei Menschen aneinander bindet, die sich ansonsten nicht verstehen, mein Gott, das ist tausendmal mehr, als der Mensch durch sein Dasein verdient hat, und es kommt einer Sünde gleich, es durch überbordende Anforderungen zu zerstören. Treue, Ehe, Vaterland, alles Phrasen, denn schließlich kann niemand verlangen, dass der andere sein Leben nicht lebt, nur um eines ideellen Bündnisses Willen. Von dieser Warte aus gesehen heißt es Fluch allen Ideen, wenn der Mensch die Stärke hat, sein Fehlen an ihnen mit sich auszumachen.
Tausende Stimmen schreien nach Helden und Tod, nach Prinzessinen und Preisen. Fluch ihnen allen. Es gibt keine Helden und keine Prinzessinen, es gibt nur Menschen. Und das Knäul zweier schwitzender sich gegenseitig erforschender Leiber ist tausendmal reiner als alle Heldentat und alles feine Getue. Wir sind animalisch in den wenigen Momenten, in denen wir wir selbst sind.
„Fluch vor allem der Geduld“, Faust sagt das nicht von ungefähr. Ist doch die Geduld das, was den Menschen Jahre seines Lebens kostet. Die Liebe ist ungeduldig, weil sie Feuer ist. Vergesst das ganze Gerede von Wasser und Hingabe. Auch Hingabe ist Feuer. Es gibt in der Liebe nur Feuer, nur brennen und verbrennen:
„Nieder das Leben, das nicht im Feuer erblüht,
das nicht aus göttlichem Herzen glüht.“
So ist die Wirklichkeit beschaffen. Wer nicht weiß, wovon ich rede, so es denn solche gibt, denen sei gesagt: Suchet nicht, ihr werdet nicht finden. Öffnet euch, dann wird das Feuer euch finden. Blut darauf.
Ich stehe nicht als ein Wissender hier, sondern als einer der keinen Ausweg weiß aus seinem Wahnsinn, als Worte zu schreiben, für die er gelitten hat, und es ist ihm, als schreibe er jede Letter mit seinem eigenen Blut. Wer sich wirklich fragt, warum er noch lebt, wird keine zufrieden stellende Antwort finden. Alle, die leben, leben. Es gibt keinen Sinn. Es gibt kein Ziel. Es gibt nur ein persönliches Ende. Das Leben endet nicht. Nur unser eigenes.
Wer hat nicht schon einmal Lippen geküsst, die er nicht vergessen kann? Wie ist es, mit diesem Wissen zu leben? Wie erträgt man, verloren zu haben, was einem mehr als alles bedeutet? Wie kann es sein, dass ein Augenblick über eine gefühlte Ewigkeit entscheidet? Blut darauf.
Die Kraftlosigkeit des eigenen Willens, der immer nur zum Weiterleben aber nie zum Glücklich sein taugt, ist wie eine Geißel in unserem Leben. Aber gäbe es keine Geißel, wären wir Maschinen. Maschinen sind nicht schlecht, sie leben nur nicht. Eine Maschine kann den Unterschied nicht verstehen.
Die Frage lautet: Erkennen wir die Melodie? Das Lied des Lebens? Oder glauben wir nur an einen Rhythmus, den wir selbst über die Melodie gelegt haben, und der es uns verbietet, dem eigentlichen Lied Gehör zu schenken? Warum muss man aufstehen und wissen wofür? Reicht es nicht, einfach nur aufzustehen, weil wir gerade gelegen haben? Wir sollten uns von dem Sinn von Handlung verabschieden, und Handlungen nach Nützlichkeit und Mitgefühl bewerten. Mitfühlend ist es, dem anderen nicht den eigenen Rhythmus, die eigenen Bilder aufzuzwingen. Sicher, man kann mit einem anderen Menschen nichts anfangen – was soll man auch mit ihm anfangen, außer gemeinsames zu erleben? Und dieses Erleben ist nützlich, weil es unserem Leben keinen Sinn aufzwingt, sondern es anfüllt. Es bleibt sinnlos, aber nicht leer. Angefüllte Sinnlosigkeit ist äußerst befreiend, denn Sinn bringt Zwang und unterwirft das Erleben. Ein Schwert gegen den Sinn, dass ist die Liebe.
Manchmal möchte ich schreien, bis meine Lungen blutig sind, bis meine Seele sich selbst ausschreit, dem Gott wie ein Hohn zurück ins Gesicht geworfen, der sie einst schuf vor undenklichen Zeiten. Ich wünsche mir dann ein Schwert, um im wilden Kampfe mit dem schlimmsten Ungeheuer dieser Erde zu sterben, zerrissen und verschlungen zu werden in einem einzigen Moment befreienden Schmerzes. Wenn ich mir nur die Brust öffnen könnte, um mir mein Herz selbst heraus zu reißen und derjenigen zu reichen, die es so sehr verletzte. „Sieh her, dies ist mein Werk!“ müssten meine Worte lauten. Denn ich bin der König, der ihr erlaubte, in meinem Garten zu wüten. Ich habe dieses zu tragen – und indem ich dieses denke, schließt sich meine Brust wieder, das Schwert und die Ungeheuer verschwinden, und mir stockt für einen Moment der Atem, wenn das Leiden auf den Willen trifft und mit ihm die Zukunft der nächsten Stunden aus ficht. Blut darauf.
Impressum siehe
http://wandersteinsgedanken.blogger.de/stories/1035974/
und sein elendes Verwelken
die Höhe von Gefühlen
und die Werte, die nichts gelten
hier ist die Angst vor der Wahrheit
der Zwang sich zu belügen
das Brennen der Verzweiflung
und die Kunst, sich zu betrügen“
- Böhse Onkelz, Erkennen sie die Melodie, „Schwarzes Album“ 1993
Warum muss es immer tragisch enden? Es ist so unendlich bitter und leidhaft, das Lieben. Kein Tag vergeht, an dem man sich nicht den Tod wünscht, der als einziger dazu in der Lage scheint, all das Leiden zu beenden, all das vergessen zu machen, was man verloren hat oder sich gegenseitig für immer versagt. Welcher Trost soll denn in dem Wissen liegen, dass das Leben Leiden ist, wenn man mit diesem Leid doch unendlich alleine das eigene Leben zu ertragen sich anschickt? „Wenn du lachst, lacht die ganze Welt mit dir, aber wenn du weinst, weinst du allein“, heißt es, und es ist wahr. Wer kann es schon aushalten, einen Menschen in derartigem Zustand zu erleben? Schon das Lesen dieser Zeilen bereitet Unbehagen, weil man das Gesagte lieber nicht wüsste. Wie muss erst die leibliche Anwesenheit eines solcher Art Leidenden auszuhalten sein… es bedarf schon einiger Stärke, um diesen Sog der Unendlichkeit, der Auflösung, der erdrückenden Schwere des Nichts zu entgehen und nicht von ihm erfasst und mitgezogen zu werden. Wie, wenn man anderen nicht von seiner Last erzählen und selbst sie nicht absetzen kann, soll man auch nur noch einen Schritt nach vorne tun? Woher kommen die Antworten, wenn die Fragen nur noch aus purer Verzweiflung bestehen?
So ist es doch, die Welt fürchtet sich vor einem wahrhaft Liebenden genauso wie vor dem wahrhaft Leidenden… Intensität und selbst verzehrendes Feuer wird allenfalls aus der Distanz des neutralen Beobachters genossen… aus diesem Grunde wird die Literatur geschätzt: man verbrennt nicht so sehr dabei, wie wenn man es selbst erlebt. Und dennoch kann gesagt werden, dass nur derjenige wirklich lebt, der es selbst erlebt. Wer es nicht kann, der mag davon lesen, aber wer es kann, der nehme verdammt nochmal seinen Mut zusammen und werfe sich in den Wahnsinn seiner Gefühle!
Mein Lieben ist mein Schwert und zugleich alle meine Sünden. Es ist, was mich am Leben hält und gleichzeitig meinen Tod sicher macht, denn wer streitet, wird irgendwann fallen. Alle Rosen und schönen Zeilen, nichts haben sie genutzt, die ungezählten Briefe, Gedichte, Geschichten. Die tausend Ansätze, durch das Schreiben zu erfassen, was wirklich geschehen ist. Nichts als der Wahn des Schmerzes eines gebrochenen Herzens brennt sich in die Zeilen und will keinen Anfang und kein Ende kennen, will sein, als wäre er immer schon gewesen. Aber um welchen Preis auch immer, es muss erlebt werden, weil nur, was erlebt wurde, gelebt wurde. Und gelebt haben wollen wir am Ende doch alle. Blut darauf.
Wenn es nur das Feuer der Liebesnacht ist, dass zwei Menschen aneinander bindet, die sich ansonsten nicht verstehen, mein Gott, das ist tausendmal mehr, als der Mensch durch sein Dasein verdient hat, und es kommt einer Sünde gleich, es durch überbordende Anforderungen zu zerstören. Treue, Ehe, Vaterland, alles Phrasen, denn schließlich kann niemand verlangen, dass der andere sein Leben nicht lebt, nur um eines ideellen Bündnisses Willen. Von dieser Warte aus gesehen heißt es Fluch allen Ideen, wenn der Mensch die Stärke hat, sein Fehlen an ihnen mit sich auszumachen.
Tausende Stimmen schreien nach Helden und Tod, nach Prinzessinen und Preisen. Fluch ihnen allen. Es gibt keine Helden und keine Prinzessinen, es gibt nur Menschen. Und das Knäul zweier schwitzender sich gegenseitig erforschender Leiber ist tausendmal reiner als alle Heldentat und alles feine Getue. Wir sind animalisch in den wenigen Momenten, in denen wir wir selbst sind.
„Fluch vor allem der Geduld“, Faust sagt das nicht von ungefähr. Ist doch die Geduld das, was den Menschen Jahre seines Lebens kostet. Die Liebe ist ungeduldig, weil sie Feuer ist. Vergesst das ganze Gerede von Wasser und Hingabe. Auch Hingabe ist Feuer. Es gibt in der Liebe nur Feuer, nur brennen und verbrennen:
„Nieder das Leben, das nicht im Feuer erblüht,
das nicht aus göttlichem Herzen glüht.“
So ist die Wirklichkeit beschaffen. Wer nicht weiß, wovon ich rede, so es denn solche gibt, denen sei gesagt: Suchet nicht, ihr werdet nicht finden. Öffnet euch, dann wird das Feuer euch finden. Blut darauf.
Ich stehe nicht als ein Wissender hier, sondern als einer der keinen Ausweg weiß aus seinem Wahnsinn, als Worte zu schreiben, für die er gelitten hat, und es ist ihm, als schreibe er jede Letter mit seinem eigenen Blut. Wer sich wirklich fragt, warum er noch lebt, wird keine zufrieden stellende Antwort finden. Alle, die leben, leben. Es gibt keinen Sinn. Es gibt kein Ziel. Es gibt nur ein persönliches Ende. Das Leben endet nicht. Nur unser eigenes.
Wer hat nicht schon einmal Lippen geküsst, die er nicht vergessen kann? Wie ist es, mit diesem Wissen zu leben? Wie erträgt man, verloren zu haben, was einem mehr als alles bedeutet? Wie kann es sein, dass ein Augenblick über eine gefühlte Ewigkeit entscheidet? Blut darauf.
Die Kraftlosigkeit des eigenen Willens, der immer nur zum Weiterleben aber nie zum Glücklich sein taugt, ist wie eine Geißel in unserem Leben. Aber gäbe es keine Geißel, wären wir Maschinen. Maschinen sind nicht schlecht, sie leben nur nicht. Eine Maschine kann den Unterschied nicht verstehen.
Die Frage lautet: Erkennen wir die Melodie? Das Lied des Lebens? Oder glauben wir nur an einen Rhythmus, den wir selbst über die Melodie gelegt haben, und der es uns verbietet, dem eigentlichen Lied Gehör zu schenken? Warum muss man aufstehen und wissen wofür? Reicht es nicht, einfach nur aufzustehen, weil wir gerade gelegen haben? Wir sollten uns von dem Sinn von Handlung verabschieden, und Handlungen nach Nützlichkeit und Mitgefühl bewerten. Mitfühlend ist es, dem anderen nicht den eigenen Rhythmus, die eigenen Bilder aufzuzwingen. Sicher, man kann mit einem anderen Menschen nichts anfangen – was soll man auch mit ihm anfangen, außer gemeinsames zu erleben? Und dieses Erleben ist nützlich, weil es unserem Leben keinen Sinn aufzwingt, sondern es anfüllt. Es bleibt sinnlos, aber nicht leer. Angefüllte Sinnlosigkeit ist äußerst befreiend, denn Sinn bringt Zwang und unterwirft das Erleben. Ein Schwert gegen den Sinn, dass ist die Liebe.
Manchmal möchte ich schreien, bis meine Lungen blutig sind, bis meine Seele sich selbst ausschreit, dem Gott wie ein Hohn zurück ins Gesicht geworfen, der sie einst schuf vor undenklichen Zeiten. Ich wünsche mir dann ein Schwert, um im wilden Kampfe mit dem schlimmsten Ungeheuer dieser Erde zu sterben, zerrissen und verschlungen zu werden in einem einzigen Moment befreienden Schmerzes. Wenn ich mir nur die Brust öffnen könnte, um mir mein Herz selbst heraus zu reißen und derjenigen zu reichen, die es so sehr verletzte. „Sieh her, dies ist mein Werk!“ müssten meine Worte lauten. Denn ich bin der König, der ihr erlaubte, in meinem Garten zu wüten. Ich habe dieses zu tragen – und indem ich dieses denke, schließt sich meine Brust wieder, das Schwert und die Ungeheuer verschwinden, und mir stockt für einen Moment der Atem, wenn das Leiden auf den Willen trifft und mit ihm die Zukunft der nächsten Stunden aus ficht. Blut darauf.
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