Freitag, 1. Februar 2008
Der Preis des Lebens (1)- Bedeutung
Alles in der Welt, sogar die Überprüfung dieses Sachverhaltes, hat seinen Preis. Es ist eine gute Frage, warum das so ist, denn dies ist keineswegs eine Sache der sprachlichen Darstellung, sondern eine Sache des bewussten Gemüts. Das Bewusstsein hingegen ist zum Teil eine sprachliche Angelegenheit, das heißt nichts anderes, als dass es letztendlich dann doch wieder daran hängt, wie wir es formulieren. Der Mensch unterscheidet sich unter anderem dadurch vom Tier, dass er mehr sein können will als er ist. Wir nennen das Streben. „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“* Goethe sagt das nicht von ungefähr. Es ist dann doch äußerst schwierig, tatsächlich etwas zu Stande zu bringen, was Bedeutung hat.

Was Bedeutung hat, hängt davon ab, wie wir den Begriff verstehen und wie dieses Verständnis mit unserem Empfinden von Bedeutung korrespondiert. Bedeutung ist demnach etwas, was in den Menschen ausgelöst wird. Die Frage des Preises ist dem Sinn nach stets eine „Wenn-Dann-Frage“. Denn wenn ein Zustand eintritt, dann können andere Zustände nicht eintreten. Der Preis ist deswegen unvermeidlich, weil die Welt Augenblick für Augenblick aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit heraus tritt. Und jedem Wirklich Werden geht die Möglichkeit verlustig. Wirklich im Sinne von relevant wird ein Ding in unserer Erfahrungswelt in dem Augenblick, in dem es Bedeutung in uns auslöst. Somit ist der Preis aller Dinge die Reduzierung der Momente von Bedeutung dahin gehend, dass wir sie mit einem einzigen Objekt oder einer Klasse von Objekten verknüpfen. Bedeutung heißt ja im Grunde nichts anderes, als das ein Objekt aus dem Nebel des alltäglichen Hintergrundrauschens heraus in die Klarheit der persönlichen Beziehung rückt, denn indem es in mir etwas auslöst, wird es mir auch gleichsam näher bekannt. In kurzen Worten: Jeder einzelne Schritt im Leben hat seinen Preis, aber ohne einen Schritt zu tun, kommt man nicht von der Stelle.

Es gibt kein Wesen unter unseren Himmeln, das so wunderbare Dilemmata und Rätsel von Geburt an aufbekommt, wie den Menschen. Das Hin und her gerissen sein zwischen dem Wunsch, mehr zu sein als wir sind, dem Wunsch nichts auszulassen und der Gewissheit, dass wir niemals mehr sein können und jeder Schritt eine irreversible Entscheidung bedeutet, ist es, die das Leben so schwer macht. Die wirkliche Herausforderung des Menschen stellt nicht die Meisterung der Natur dar, sondern das Aushalten all seinen Wünschens. Oder sagen wir es so: ein jeder Wunsch ist im Grunde der Wunsch nach Bedeutung. Jedes Erfüllen dieses Wunsches bedeutet einen Schritt und damit das Versagen von anderer Bedeutung. Die Bedeutungen formen unser Leben. Um den Film „The Crow“ zu zitieren: „Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst, du bekommst es vielleicht“. Die Frage ist doch: Sind wir uns im Vorherein über die möglichen Konsequenzen unserer Wünsche oder besser Bedürfnisse nach Bedeutung im Klaren? Nein, sind wir nicht – können wir nicht. Können uns alle uns der Möglichkeit nach bekannten Konsequenzen bekannt sein? Theoretisch ja – nur lässt die betreffende Situation zumeist eine derart umfangreiche Introspektion nicht zu. Es ergibt sich eine gewisse Hilflosigkeit dem eigenen Leben gegenüber, die sich aus dem notwendigen „aus-dem-Bauch-heraus-entscheiden“ ergibt. Wir können demnach nicht wissen, ob der Preis nicht höher ist als der Gewinn und müssen dennoch eine Entscheidung fällen.

Ob wir gewinnen oder verlieren, immer wird in uns Bedeutung ausgelöst. Quasi jeder Schritt, den wir tun, liefert uns Bedeutung, und wenn wir bedenken, dass jeder Mensch, ohne Ausnahme nur eine endliche Liste von Schritten hat, die er gehen kann, hat jeder Mensch im Grunde die gleiche Menge an Bedeutung, gemessen an der Anzahl seiner Schritte gehabt. Ein bedeutungsloses Leben kann demnach nur eines sein, indem keine Schritte gemacht wurden. Wir müssen schließlich mit unserem Leben leben. Insofern kommt es hauptsächlich auf die Bedeutung an, die wir selbst unserem Leben verleihen und diese ist an die Anzahl der Schritte geknüpft, die wir in unserem Leben gehen, nicht an dessen Dauer. Das ist einer der Witze des Lebens, dass seine Dauer im Grunde in Schritten bemessen wird, deren Währung die Augenblicke sind, die sich im aristotelischen Sinne nicht in der Zeit befinden, weil in ihnen keine Zeit vergeht. Auch Wittgenstein bemerkte in seinem Tractatus trocken, dass derjenige ewig lebt, der in der Gegenwart lebt. Der Preis ist also die Frage nach der Bewertung der Bedeutung von positiv oder negativ. Es ist eine Frage des eigenen Selbst, wie groß der Preis und wie groß der Gewinn ist. Misst man dieses an der Anzahl der freiwillig Lebenden, ist der Gewinn anscheinend immer noch höher als der Preis, wie hoch dieser auch sein mag. Das Leben in der Sprache, soviel will ich noch bemerken, ist wahrlich eine sehr seltsame Form von Wahnsinn.


*Goethe, (Faust II, 5. Akt, Bergschluchten, Vers 11936f)



Impressum siehe:
http://wandersteinsgedanken.blogger.de/stories/1035974/

... comment