Freitag, 20. Juni 2008
Der Preis des Lebens (4) - Erleuchtung (Teil 2)
Es gibt in der Religion wie in der Philosophie mehrere Teilbereiche. Der jeweils Grundlegende weil Begründende ist in der Religion die Lehre der transzendentalen Gegebenheiten und in der Philosophie die Metaphysik. Was ist die Metaphysik? Nach Kant ist sie sinngemäß die Eingrenzung dessen, worüber sich die reine Vernunft aus sich selbst heraus klar werden kann, was nicht viel ist, gemessen an dem, was man gemeinhin darunter versteht. Für Wittgenstein ist sie nur noch ein Sprachspiel, für Aristoteles ist sie das höchste Wissen, dass ohne jeden weiteren Nutzen wegen sich selbst gewußt werden will. Im weitesten Sinne ist es der Überbau für unsere auf die Erfahrungswelt bezogenen Theorien, und diese werden gewissermaßen durch sie gestützt. Aber nicht nur Theorien basieren darauf – auch Religionen greifen auf sie zurück, wenn die Art und Weise der nicht materiellen Existenz ist ein Fall der Metaphysik, des der Physik nachfolgenden oder übergeordneten „Wissens“. Metaphysik beschäftigt sich mit dem Spekulieren darüber, was wir eigentlich nicht wissen. Insofern wäre es das Konsequenteste zu sagen, die Metaphysik ist die Wissenschaft vom Glauben. In gewisser Weise so: Man kann nicht einfach glauben, was man will, ohne sich lächerlich zu machen. Demnach muss Glaube Hand und Fuß haben, wenn er bestehen will, denn nur so kann er dem reflektierenden Geist von Nutzen sein. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, wie dies geschehen kann: entweder sie ist so umfangreich und ausufernd, dass ein Mensch sie zu Lebzeiten nicht zur Gänze überschauen kann, oder sie kommt mit so wenig Axiomen wie möglich aus, die zudem noch aus der gewöhnlichen Beobachtung ableitbar sein sollten. Wozu das Ganze? Ganz einfach – man hält sich daran fest. In der leeren Luft kann man nicht stehen. Wenn man also seine Welt einreißt, muss man auf irgendetwas stehen. Ein solcher Notstand ist die Metaphysik. Aus dem, was dort angelegt ist, formt man dann seine neue. Man kann sagen, die Metaphysik wäre das Ergründen der Struktur der eigenen Erfahrungswelt. Dies mag naturwissenschaftlich nicht nützlich sein, aber dies ist deren Sache. Die Philosophie ist mitunter eine Lebenskunst, und als solcher sind ihr derartige Unternehmen der Philosophen durchaus nützlich, weil diese damit gleichsam erkunden, was ein Menschenleben ist und was es sein könnte. Die Metaphysik ist immer Repräsentant des Ideellen, des geschlossenen Weltgefüges, das sich darum bemüht, das schon bekannte Fragmentartige zu erklären.

Eine jede Heilslehre hat im Grunde drei Teile, nämlich Ethik, Metaphysik und eine rituelle und/oder meditative Praxis. Rein objektiv betrachtet ist die metaphysische Basis eigentlich unnötig, gerade angesichts des Streits, den sie entfacht. Es würde eigentlich genügen, wenn die Menschen ein wenig in sich gehen, und sich moralisch verhalten. Und hier liegt das Problem – das geht scheinbar nicht so einfach. Denn Religion ist nicht nur eine soziale Struktur und eine medizinische Therapie, sondern ebenso ein persönlicher Angstregulator für die Psyche des Einzelnen, gedacht ihn zu stützen, damit er die Kraft hat, die Ethik zu leben und die Meditation zu praktizieren. Dieser wird aber oft von Geistlichen wie Gläubigen dazu genutzt, den persönlichen Ist-Zustand weiter zu stärken und nicht, um sich weiter zu entwickeln, wie die Theorie das ursprünglich vorsah. Du hast Angst vor dem Tod? Du kommst zu Gott. Du hast Angst vor dem Bösen? Gott hilft dir – wenn du dich in Ethik und Meditation übst. Im Grunde funkioniert es ganz einfach. Aber diese Sätze bekomme ich ebenso zu hören, wenn ich meine Sünden beichte und sage, dass ich bereue, obwohl ich mich danach nicht in Ethik übe und nicht meditiere. Demnach ist es wichtig, alle Teile einer solchen Lehre zu verstehen und aus sich selbst heraus neu zu gebären, denn nur so kann man sie sich zu Eigen machen, denn nur, wenn ich so verfahre, ist sie in der Lage, mir zu nützen.

Beginnen wir nun mit dem modernsten und wissenschaftlichen Blickwinkel: wir können in etwa 5000 Jahre religiöser Tätigkeit des Menschen relativ dicht überschauen, so dass wir sagen können, dass wir von den großen Religionen der für das Abendland relevanten Regionen etwas wissen. Der Veda kennt eine Unzahl an Göttern, so auch das japanische Shinto und die auf dem Veda basierenden Formen indischen Glaubens. Die Griechen, Ägypter und Babylonier hatten zwar viele, jedoch eine überschaubare Gruppe wichtiger Götter. Die mosaischen Religionen haben alle nur einen Gott und der Buddhismus überhaupt keinen. Wir können also zunächst nicht aus den Religionen sagen, ob es keinen, einen oder viele Götter gibt, denn alle Möglichkeiten kommen vor. Schauen wir genauer hin, so sehen wir, dass der Veda keinen ersten Gott angibt, der die Welt geschaffen hat, sondern nur einen Gott, nicht den Höchsten, aus dem die Welt geschaffen wurde. Wer oder was diesen schuf, darüber hüllt sich der Veda in Schweigen. Die ägyptische, die babylonische, und die christliche sowie die postvedische gründen auf einer Trinität, Ra/Isis/Horus, Bel/Anu/Ea, Vater/Sohn/Heiliger Geist, Brahma/Vishnu/Shiva. Dies ist zumindest schon einmal ein interessanter Umstand, der aber immer noch nichts über Gott aussagt. Fakt ist, dass die Religionen sich gegenseitig beeinflussten, aber nicht die ägyptische und babylonische die christliche, wohl aber vermutlich die indische. Die mosaische sowie die mohammedanische sind in Ablehnung alter Systeme gegenüber entstanden.

Viele der eigentlich mystischen Theorien finden sich in der Philosophie der Alten wieder, zum Beispiel die Teleologie sowie den Umstand, die Welt hauptsächlich aus dem Denken und nicht aus der Wahrnehmung heraus zu erklären. Und genau dies wird ihnen in Unkenntnis der Umstände immer angekreidet. Denn die Welt, die sich in einem Menschen erstreckt, ist teleologisch und sie entsteht eher aus dem Denken und Empfinden, aus dem, was wir glauben, was geschieht, als aus dem, was mechanisch tatsächlich vorging. Die Relevanz einer jeden mechanischen Veränderung wird durch ihren Stellenwert im Empfinden und Denken des Einzelnen bestimmt. Somit bekommt die Philosophie der Alten wieder einen neuen Sinn, indem sie uns aufzeigt, wie wir mit unserer inneren Welt umgehen können.

Überhaupt geht die Welt, die ein Mensch in seinem Leben in sich selbst erschafft, ganz andere Wege als die Welt, die er außerhalb von sich glaubt. So ist es für die Seele immer jetzt, alles was jemals geschah, geschieht jetzt, und der Mensch braucht die Verdrängung, will er nicht ständig bei jenen Erlebnissen stehen bleiben, die seine Seele in Wallung versetzten. So ist es nur natürlich, dass sich seine innere Welt unter subtilen Symboliken verbirgt, zu denen er selbst den Schlüssel nur zu oft nicht besitzt. Hier kommt nun die Religion ins Spiel – sie besitzt Symboliken, die älter sind alles jeder Mensch.

Die inneren Bilder der Seele haben etwas von den Malereien van Goghs. So wie manch einer bei dem Gemälde „Kornfeld mit Krähen“ oder „Undergrowth“ das Gefühl entwickeln könnte, dass Bild hätte eine innere Dynamik, als hätte van Gogh ein Bild der Seele gemalt, kurz bevor es in ein anderes morpht und sich gänzlich verfremdet. Die religiösen Symbole mystischen Sprachgebrauchs sind seinen Bildern sehr ähnlich. So wird beispielsweise die babylonische Ishtar durch die Entwicklung der Motiviken über Jahrtausende zum christlichen Teufel, wird Horus zu Christus und so weiter und so fort. Der trinitare Glaube entwickelte sich auch aus schon vorhandenen Bildern… der Beispiele sind viele…

Ein jedes mystisches Symbol möchte ich einen emotional gebundenen Sachverhalt nennen. Das bedeutet, Gott ist nicht eine logische, sondern eine emotionale Tatsache. Unter der Definition, dass das Wirklichkeit ist, was wirksam ist, ist Gott, an den zu glauben mein Leben verändert, eine wirkliche Tatsache. Bestimmt wird diese Tatsache allerdings nicht von einem zu mir extern sich konstituierenden Objekt, sondern von meinem eigenen emotionalen Erleben. Jegliche Kunst wird als emotionaler Sachverhalt definiert, ganz einfach weil das Objekt an sich nichts ist – seine Wirkung entfaltet sich erst im Auge des Betrachters, und mehr noch als von der tatsächlichen Form der Statue, wird sie von der seelischen Landschaft des Betrachtenden bestimmt. Bin ich nun ergriffen und will dieses beschreiben, so kann ich Gefühlswörter anführen, bspw. Intensiv, schön, hässlich usw. oder ich kann weitere emotionale Sachverhalte bemühen, indem ich zum Beispiel ein Kunstwerk durch ein anderes beschreibe: wie ein Bild von van Gogh, wie Michelangelos David, wie die babylonische Ishtar. Diese werden anderen jedoch nur dann von Nutzen sein, wenn sie meinen emotionalen Bezug zur Referenz kennen. Wir sehen demnach, dass wir unsere Seelenlandschaft am Besten dadurch kennzeichnen und erklären, indem wir die einzelnen Effekte des emotionalen Sachverhalts am äußeren Gegenstande festzumachen suchen und so genau den Bezug des Erklärten zur Art und Weise des Erlebten deutlich machen.

Die philosophische Sprache ist deswegen am Besten dazu geeignet, weil sie einerseits emotionale Sachverhalte nicht ausschließt wie die Sprache der Wissenschaft, andererseits logische Bezüge nicht emotionalisiert wie die Sprache der Religionen. Indem wir eben zeigen, was wir am Ding alles zeigen können, machen wir offenbar, was wir nicht daran zeigen können und somit als ein gefühltes Geheimnis in uns verbleiben muss. Und vielleicht, vielleicht nützt unsere Beschreibung einem anderen ja dahin gehend, als dass auch er so ein Geheimnis in sich entdeckt.


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