Mittwoch, 30. Juli 2008
Von der Liebe II - Leiden
„Hier ist die Schönheit eines Augenblicks
und sein elendes Verwelken
die Höhe von Gefühlen
und die Werte, die nichts gelten
hier ist die Angst vor der Wahrheit
der Zwang sich zu belügen
das Brennen der Verzweiflung
und die Kunst, sich zu betrügen“
- Böhse Onkelz, Erkennen sie die Melodie, „Schwarzes Album“ 1993

Warum muss es immer tragisch enden? Es ist so unendlich bitter und leidhaft, das Lieben. Kein Tag vergeht, an dem man sich nicht den Tod wünscht, der als einziger dazu in der Lage scheint, all das Leiden zu beenden, all das vergessen zu machen, was man verloren hat oder sich gegenseitig für immer versagt. Welcher Trost soll denn in dem Wissen liegen, dass das Leben Leiden ist, wenn man mit diesem Leid doch unendlich alleine das eigene Leben zu ertragen sich anschickt? „Wenn du lachst, lacht die ganze Welt mit dir, aber wenn du weinst, weinst du allein“, heißt es, und es ist wahr. Wer kann es schon aushalten, einen Menschen in derartigem Zustand zu erleben? Schon das Lesen dieser Zeilen bereitet Unbehagen, weil man das Gesagte lieber nicht wüsste. Wie muss erst die leibliche Anwesenheit eines solcher Art Leidenden auszuhalten sein… es bedarf schon einiger Stärke, um diesen Sog der Unendlichkeit, der Auflösung, der erdrückenden Schwere des Nichts zu entgehen und nicht von ihm erfasst und mitgezogen zu werden. Wie, wenn man anderen nicht von seiner Last erzählen und selbst sie nicht absetzen kann, soll man auch nur noch einen Schritt nach vorne tun? Woher kommen die Antworten, wenn die Fragen nur noch aus purer Verzweiflung bestehen?

So ist es doch, die Welt fürchtet sich vor einem wahrhaft Liebenden genauso wie vor dem wahrhaft Leidenden… Intensität und selbst verzehrendes Feuer wird allenfalls aus der Distanz des neutralen Beobachters genossen… aus diesem Grunde wird die Literatur geschätzt: man verbrennt nicht so sehr dabei, wie wenn man es selbst erlebt. Und dennoch kann gesagt werden, dass nur derjenige wirklich lebt, der es selbst erlebt. Wer es nicht kann, der mag davon lesen, aber wer es kann, der nehme verdammt nochmal seinen Mut zusammen und werfe sich in den Wahnsinn seiner Gefühle!

Mein Lieben ist mein Schwert und zugleich alle meine Sünden. Es ist, was mich am Leben hält und gleichzeitig meinen Tod sicher macht, denn wer streitet, wird irgendwann fallen. Alle Rosen und schönen Zeilen, nichts haben sie genutzt, die ungezählten Briefe, Gedichte, Geschichten. Die tausend Ansätze, durch das Schreiben zu erfassen, was wirklich geschehen ist. Nichts als der Wahn des Schmerzes eines gebrochenen Herzens brennt sich in die Zeilen und will keinen Anfang und kein Ende kennen, will sein, als wäre er immer schon gewesen. Aber um welchen Preis auch immer, es muss erlebt werden, weil nur, was erlebt wurde, gelebt wurde. Und gelebt haben wollen wir am Ende doch alle. Blut darauf.

Wenn es nur das Feuer der Liebesnacht ist, dass zwei Menschen aneinander bindet, die sich ansonsten nicht verstehen, mein Gott, das ist tausendmal mehr, als der Mensch durch sein Dasein verdient hat, und es kommt einer Sünde gleich, es durch überbordende Anforderungen zu zerstören. Treue, Ehe, Vaterland, alles Phrasen, denn schließlich kann niemand verlangen, dass der andere sein Leben nicht lebt, nur um eines ideellen Bündnisses Willen. Von dieser Warte aus gesehen heißt es Fluch allen Ideen, wenn der Mensch die Stärke hat, sein Fehlen an ihnen mit sich auszumachen.

Tausende Stimmen schreien nach Helden und Tod, nach Prinzessinen und Preisen. Fluch ihnen allen. Es gibt keine Helden und keine Prinzessinen, es gibt nur Menschen. Und das Knäul zweier schwitzender sich gegenseitig erforschender Leiber ist tausendmal reiner als alle Heldentat und alles feine Getue. Wir sind animalisch in den wenigen Momenten, in denen wir wir selbst sind.

„Fluch vor allem der Geduld“, Faust sagt das nicht von ungefähr. Ist doch die Geduld das, was den Menschen Jahre seines Lebens kostet. Die Liebe ist ungeduldig, weil sie Feuer ist. Vergesst das ganze Gerede von Wasser und Hingabe. Auch Hingabe ist Feuer. Es gibt in der Liebe nur Feuer, nur brennen und verbrennen:

„Nieder das Leben, das nicht im Feuer erblüht,
das nicht aus göttlichem Herzen glüht.“

So ist die Wirklichkeit beschaffen. Wer nicht weiß, wovon ich rede, so es denn solche gibt, denen sei gesagt: Suchet nicht, ihr werdet nicht finden. Öffnet euch, dann wird das Feuer euch finden. Blut darauf.

Ich stehe nicht als ein Wissender hier, sondern als einer der keinen Ausweg weiß aus seinem Wahnsinn, als Worte zu schreiben, für die er gelitten hat, und es ist ihm, als schreibe er jede Letter mit seinem eigenen Blut. Wer sich wirklich fragt, warum er noch lebt, wird keine zufrieden stellende Antwort finden. Alle, die leben, leben. Es gibt keinen Sinn. Es gibt kein Ziel. Es gibt nur ein persönliches Ende. Das Leben endet nicht. Nur unser eigenes.

Wer hat nicht schon einmal Lippen geküsst, die er nicht vergessen kann? Wie ist es, mit diesem Wissen zu leben? Wie erträgt man, verloren zu haben, was einem mehr als alles bedeutet? Wie kann es sein, dass ein Augenblick über eine gefühlte Ewigkeit entscheidet? Blut darauf.

Die Kraftlosigkeit des eigenen Willens, der immer nur zum Weiterleben aber nie zum Glücklich sein taugt, ist wie eine Geißel in unserem Leben. Aber gäbe es keine Geißel, wären wir Maschinen. Maschinen sind nicht schlecht, sie leben nur nicht. Eine Maschine kann den Unterschied nicht verstehen.

Die Frage lautet: Erkennen wir die Melodie? Das Lied des Lebens? Oder glauben wir nur an einen Rhythmus, den wir selbst über die Melodie gelegt haben, und der es uns verbietet, dem eigentlichen Lied Gehör zu schenken? Warum muss man aufstehen und wissen wofür? Reicht es nicht, einfach nur aufzustehen, weil wir gerade gelegen haben? Wir sollten uns von dem Sinn von Handlung verabschieden, und Handlungen nach Nützlichkeit und Mitgefühl bewerten. Mitfühlend ist es, dem anderen nicht den eigenen Rhythmus, die eigenen Bilder aufzuzwingen. Sicher, man kann mit einem anderen Menschen nichts anfangen – was soll man auch mit ihm anfangen, außer gemeinsames zu erleben? Und dieses Erleben ist nützlich, weil es unserem Leben keinen Sinn aufzwingt, sondern es anfüllt. Es bleibt sinnlos, aber nicht leer. Angefüllte Sinnlosigkeit ist äußerst befreiend, denn Sinn bringt Zwang und unterwirft das Erleben. Ein Schwert gegen den Sinn, dass ist die Liebe.

Manchmal möchte ich schreien, bis meine Lungen blutig sind, bis meine Seele sich selbst ausschreit, dem Gott wie ein Hohn zurück ins Gesicht geworfen, der sie einst schuf vor undenklichen Zeiten. Ich wünsche mir dann ein Schwert, um im wilden Kampfe mit dem schlimmsten Ungeheuer dieser Erde zu sterben, zerrissen und verschlungen zu werden in einem einzigen Moment befreienden Schmerzes. Wenn ich mir nur die Brust öffnen könnte, um mir mein Herz selbst heraus zu reißen und derjenigen zu reichen, die es so sehr verletzte. „Sieh her, dies ist mein Werk!“ müssten meine Worte lauten. Denn ich bin der König, der ihr erlaubte, in meinem Garten zu wüten. Ich habe dieses zu tragen – und indem ich dieses denke, schließt sich meine Brust wieder, das Schwert und die Ungeheuer verschwinden, und mir stockt für einen Moment der Atem, wenn das Leiden auf den Willen trifft und mit ihm die Zukunft der nächsten Stunden aus ficht. Blut darauf.



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