Freitag, 20. Juni 2008
Der Preis des Lebens (4) - Erleuchtung (Teil 2)
Es gibt in der Religion wie in der Philosophie mehrere Teilbereiche. Der jeweils Grundlegende weil Begründende ist in der Religion die Lehre der transzendentalen Gegebenheiten und in der Philosophie die Metaphysik. Was ist die Metaphysik? Nach Kant ist sie sinngemäß die Eingrenzung dessen, worüber sich die reine Vernunft aus sich selbst heraus klar werden kann, was nicht viel ist, gemessen an dem, was man gemeinhin darunter versteht. Für Wittgenstein ist sie nur noch ein Sprachspiel, für Aristoteles ist sie das höchste Wissen, dass ohne jeden weiteren Nutzen wegen sich selbst gewußt werden will. Im weitesten Sinne ist es der Überbau für unsere auf die Erfahrungswelt bezogenen Theorien, und diese werden gewissermaßen durch sie gestützt. Aber nicht nur Theorien basieren darauf – auch Religionen greifen auf sie zurück, wenn die Art und Weise der nicht materiellen Existenz ist ein Fall der Metaphysik, des der Physik nachfolgenden oder übergeordneten „Wissens“. Metaphysik beschäftigt sich mit dem Spekulieren darüber, was wir eigentlich nicht wissen. Insofern wäre es das Konsequenteste zu sagen, die Metaphysik ist die Wissenschaft vom Glauben. In gewisser Weise so: Man kann nicht einfach glauben, was man will, ohne sich lächerlich zu machen. Demnach muss Glaube Hand und Fuß haben, wenn er bestehen will, denn nur so kann er dem reflektierenden Geist von Nutzen sein. Es gibt nun zwei Möglichkeiten, wie dies geschehen kann: entweder sie ist so umfangreich und ausufernd, dass ein Mensch sie zu Lebzeiten nicht zur Gänze überschauen kann, oder sie kommt mit so wenig Axiomen wie möglich aus, die zudem noch aus der gewöhnlichen Beobachtung ableitbar sein sollten. Wozu das Ganze? Ganz einfach – man hält sich daran fest. In der leeren Luft kann man nicht stehen. Wenn man also seine Welt einreißt, muss man auf irgendetwas stehen. Ein solcher Notstand ist die Metaphysik. Aus dem, was dort angelegt ist, formt man dann seine neue. Man kann sagen, die Metaphysik wäre das Ergründen der Struktur der eigenen Erfahrungswelt. Dies mag naturwissenschaftlich nicht nützlich sein, aber dies ist deren Sache. Die Philosophie ist mitunter eine Lebenskunst, und als solcher sind ihr derartige Unternehmen der Philosophen durchaus nützlich, weil diese damit gleichsam erkunden, was ein Menschenleben ist und was es sein könnte. Die Metaphysik ist immer Repräsentant des Ideellen, des geschlossenen Weltgefüges, das sich darum bemüht, das schon bekannte Fragmentartige zu erklären.

Eine jede Heilslehre hat im Grunde drei Teile, nämlich Ethik, Metaphysik und eine rituelle und/oder meditative Praxis. Rein objektiv betrachtet ist die metaphysische Basis eigentlich unnötig, gerade angesichts des Streits, den sie entfacht. Es würde eigentlich genügen, wenn die Menschen ein wenig in sich gehen, und sich moralisch verhalten. Und hier liegt das Problem – das geht scheinbar nicht so einfach. Denn Religion ist nicht nur eine soziale Struktur und eine medizinische Therapie, sondern ebenso ein persönlicher Angstregulator für die Psyche des Einzelnen, gedacht ihn zu stützen, damit er die Kraft hat, die Ethik zu leben und die Meditation zu praktizieren. Dieser wird aber oft von Geistlichen wie Gläubigen dazu genutzt, den persönlichen Ist-Zustand weiter zu stärken und nicht, um sich weiter zu entwickeln, wie die Theorie das ursprünglich vorsah. Du hast Angst vor dem Tod? Du kommst zu Gott. Du hast Angst vor dem Bösen? Gott hilft dir – wenn du dich in Ethik und Meditation übst. Im Grunde funkioniert es ganz einfach. Aber diese Sätze bekomme ich ebenso zu hören, wenn ich meine Sünden beichte und sage, dass ich bereue, obwohl ich mich danach nicht in Ethik übe und nicht meditiere. Demnach ist es wichtig, alle Teile einer solchen Lehre zu verstehen und aus sich selbst heraus neu zu gebären, denn nur so kann man sie sich zu Eigen machen, denn nur, wenn ich so verfahre, ist sie in der Lage, mir zu nützen.

Beginnen wir nun mit dem modernsten und wissenschaftlichen Blickwinkel: wir können in etwa 5000 Jahre religiöser Tätigkeit des Menschen relativ dicht überschauen, so dass wir sagen können, dass wir von den großen Religionen der für das Abendland relevanten Regionen etwas wissen. Der Veda kennt eine Unzahl an Göttern, so auch das japanische Shinto und die auf dem Veda basierenden Formen indischen Glaubens. Die Griechen, Ägypter und Babylonier hatten zwar viele, jedoch eine überschaubare Gruppe wichtiger Götter. Die mosaischen Religionen haben alle nur einen Gott und der Buddhismus überhaupt keinen. Wir können also zunächst nicht aus den Religionen sagen, ob es keinen, einen oder viele Götter gibt, denn alle Möglichkeiten kommen vor. Schauen wir genauer hin, so sehen wir, dass der Veda keinen ersten Gott angibt, der die Welt geschaffen hat, sondern nur einen Gott, nicht den Höchsten, aus dem die Welt geschaffen wurde. Wer oder was diesen schuf, darüber hüllt sich der Veda in Schweigen. Die ägyptische, die babylonische, und die christliche sowie die postvedische gründen auf einer Trinität, Ra/Isis/Horus, Bel/Anu/Ea, Vater/Sohn/Heiliger Geist, Brahma/Vishnu/Shiva. Dies ist zumindest schon einmal ein interessanter Umstand, der aber immer noch nichts über Gott aussagt. Fakt ist, dass die Religionen sich gegenseitig beeinflussten, aber nicht die ägyptische und babylonische die christliche, wohl aber vermutlich die indische. Die mosaische sowie die mohammedanische sind in Ablehnung alter Systeme gegenüber entstanden.

Viele der eigentlich mystischen Theorien finden sich in der Philosophie der Alten wieder, zum Beispiel die Teleologie sowie den Umstand, die Welt hauptsächlich aus dem Denken und nicht aus der Wahrnehmung heraus zu erklären. Und genau dies wird ihnen in Unkenntnis der Umstände immer angekreidet. Denn die Welt, die sich in einem Menschen erstreckt, ist teleologisch und sie entsteht eher aus dem Denken und Empfinden, aus dem, was wir glauben, was geschieht, als aus dem, was mechanisch tatsächlich vorging. Die Relevanz einer jeden mechanischen Veränderung wird durch ihren Stellenwert im Empfinden und Denken des Einzelnen bestimmt. Somit bekommt die Philosophie der Alten wieder einen neuen Sinn, indem sie uns aufzeigt, wie wir mit unserer inneren Welt umgehen können.

Überhaupt geht die Welt, die ein Mensch in seinem Leben in sich selbst erschafft, ganz andere Wege als die Welt, die er außerhalb von sich glaubt. So ist es für die Seele immer jetzt, alles was jemals geschah, geschieht jetzt, und der Mensch braucht die Verdrängung, will er nicht ständig bei jenen Erlebnissen stehen bleiben, die seine Seele in Wallung versetzten. So ist es nur natürlich, dass sich seine innere Welt unter subtilen Symboliken verbirgt, zu denen er selbst den Schlüssel nur zu oft nicht besitzt. Hier kommt nun die Religion ins Spiel – sie besitzt Symboliken, die älter sind alles jeder Mensch.

Die inneren Bilder der Seele haben etwas von den Malereien van Goghs. So wie manch einer bei dem Gemälde „Kornfeld mit Krähen“ oder „Undergrowth“ das Gefühl entwickeln könnte, dass Bild hätte eine innere Dynamik, als hätte van Gogh ein Bild der Seele gemalt, kurz bevor es in ein anderes morpht und sich gänzlich verfremdet. Die religiösen Symbole mystischen Sprachgebrauchs sind seinen Bildern sehr ähnlich. So wird beispielsweise die babylonische Ishtar durch die Entwicklung der Motiviken über Jahrtausende zum christlichen Teufel, wird Horus zu Christus und so weiter und so fort. Der trinitare Glaube entwickelte sich auch aus schon vorhandenen Bildern… der Beispiele sind viele…

Ein jedes mystisches Symbol möchte ich einen emotional gebundenen Sachverhalt nennen. Das bedeutet, Gott ist nicht eine logische, sondern eine emotionale Tatsache. Unter der Definition, dass das Wirklichkeit ist, was wirksam ist, ist Gott, an den zu glauben mein Leben verändert, eine wirkliche Tatsache. Bestimmt wird diese Tatsache allerdings nicht von einem zu mir extern sich konstituierenden Objekt, sondern von meinem eigenen emotionalen Erleben. Jegliche Kunst wird als emotionaler Sachverhalt definiert, ganz einfach weil das Objekt an sich nichts ist – seine Wirkung entfaltet sich erst im Auge des Betrachters, und mehr noch als von der tatsächlichen Form der Statue, wird sie von der seelischen Landschaft des Betrachtenden bestimmt. Bin ich nun ergriffen und will dieses beschreiben, so kann ich Gefühlswörter anführen, bspw. Intensiv, schön, hässlich usw. oder ich kann weitere emotionale Sachverhalte bemühen, indem ich zum Beispiel ein Kunstwerk durch ein anderes beschreibe: wie ein Bild von van Gogh, wie Michelangelos David, wie die babylonische Ishtar. Diese werden anderen jedoch nur dann von Nutzen sein, wenn sie meinen emotionalen Bezug zur Referenz kennen. Wir sehen demnach, dass wir unsere Seelenlandschaft am Besten dadurch kennzeichnen und erklären, indem wir die einzelnen Effekte des emotionalen Sachverhalts am äußeren Gegenstande festzumachen suchen und so genau den Bezug des Erklärten zur Art und Weise des Erlebten deutlich machen.

Die philosophische Sprache ist deswegen am Besten dazu geeignet, weil sie einerseits emotionale Sachverhalte nicht ausschließt wie die Sprache der Wissenschaft, andererseits logische Bezüge nicht emotionalisiert wie die Sprache der Religionen. Indem wir eben zeigen, was wir am Ding alles zeigen können, machen wir offenbar, was wir nicht daran zeigen können und somit als ein gefühltes Geheimnis in uns verbleiben muss. Und vielleicht, vielleicht nützt unsere Beschreibung einem anderen ja dahin gehend, als dass auch er so ein Geheimnis in sich entdeckt.


Impressum siehe:
http://wandersteinsgedanken.blogger.de/stories/1035974/

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 4. März 2008
Der Preis des Lebens (4) - Erleuchtung (Teil 1)
Sei nunmehr 100 000 Jahren macht sich der Mensch darüber Gedanken, woher er kommt und wohin er geht, wie diese Welt beschaffen ist und was er darüber wissen kann. Hierbei unterscheidet er zur heutigen Zeit grundsätzlich zwischen zwei Wegen, dem religiösen und dem wissenschaftlichen. Eigentlich müsste sich zu dieser Dichotomie ein dritter hinzu gesellen, und zwar der Weg der Philosophie, der heute für gewöhnlich unter die wissenschaftliche Herangehensweise geordnet wird. Es ist nicht so einfach zu erklären, wieso dies falsch ist, es ist jedoch der Fall. Vielleicht soviel: die alten Philosophen (gemeint sind hier natürlich die Griechen bis Aristoteles) verfuhren zumeist auf folgende Weise:

„Mit Ausnahme der Sophisten [und Sokrates] pflegten die Lehrer in der Regel eine Schule zu gründen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Bruderschaft hatte; man führte mehr oder minder ein Gemeinschaftsleben, hatte häufig eine Art Ordensregel und gewöhnlich auch eine esoterische Lehre, die der Öffentlichkeit vorenthalten wurde. All das war ganz natürlich, wo die jeweilige Philosophie auf den Orphismus zurückging. “*

Der Orphismus ist eine alte mystische Tradition, die sich vermutlich von Jonien aus über Griechenland verbreitete und ihre Wurzeln möglicherweise in Persien/Babylon und Ägypten hat, das von den griechischen Weisen ausgiebig bereist wurde. Für uns ist nur wichtig, dass bis Sokrates die Philosophie auf der Basis der Religion stand. Diese Basis verließ sie im vierten Jahrhundert vor Christus kurzzeitig, damit Aristoteles der Wissenschaft zur Geburt verhelfen konnte, anschließend kehrte sie noch einmal für mehr als tausend Jahre auf ihre alte Position zurück, den Keim vergessend, den der Makedonier in sie gepflanzt hatte, um dann hervorzuschnellen und die Allmacht Gottes über die Menschen durch neue Theorien, Gedanken und Beobachtungen zu brechen. Nun hat sich aus diesem Ansatz eine Weltbetrachtung, ein Blickwinkel entwickelt, den wir wissenschaftlich nennen. Das Problem ist, er ist nicht auch gleichzeitig philosophisch.

Die Philosophie hatte seit jeher den Anspruch, die ganze Welt zu erklären und drang damit auch in Bereiche vor, die nicht nur einer wissenschaftlichen Sprache sondern auch deren Betrachtungsweise unzugänglich sind. Da die meisten Philosophen der neueren Zeit jedoch primär der Wissenschaft verpflichtet waren, entstand die Auffassung, es gäbe über diese Bereiche ohnehin nichts Brauchbares zu denken, zu erfahren oder zu sagen, ja mancherorts wurde ihre Existenz schlechthin in Frage gestellt und abgelehnt, so zum Beispiel der junge Wittgenstein in seinem „Tractatus Logico Philosophicus“, einem kleinen Heftchen, dass aus kaum mehr als 100 Seiten besteht, und in welchem Wittgenstein behauptet, alles zu sagen, worüber wir etwas sagen können, wenn die Gesetze der Logik gelten; Da wir aber keine Gesetze für den Sinn und die Bedeutung aufstellen können, als die Logischen, so Wittgenstein damals, können wir entweder das Logische mit Sicherheit sagen, oder wir können überhaupt nichts sagen, was in irgendeiner Form auf die Welt zutrifft. Dies war der äußerste Rand der Philosophie, und es war nur deswegen noch Philosophie, weil seine eingangs selbst gestellte Frage philosophisch war – was können wir wissen? Seine Antwort war es nicht mehr.

Man könnte ungefähr so sagen: Der Mensch begann, nachdem er Sprache hervorgebracht hatte, als erstes damit, die Welt so zu beschreiben, wie er sie durch sein Empfinden wahrnahm – die Religion. Das tat er mindestens 90 000 Jahre, ohne dass ihm ein anderer Gedanke kam. Vor ungefähr 7000 Jahren begann er damit, Formeln zu entdecken, und Skepsis auf der Basis der Mathematik zu entwickeln, eine präzisere Form der sprachlichen Darlegung zu erfinden und das gefühlte Weltbild durch Beobachtungen abzusichern oder zu korrigieren. Seit etwa 200 Jahren nun hat er das Emotionale Betrachten völlig verworfen und begonnen, seine Beschreibungen nur noch aus der Logik und der Beobachtung zu gewinnen. Das eine ist die Religion, das andere die Wissenschaft – und die etwa 7000 Jahre zwischen ihnen – das ist die Philosophie, wenn man es historisch einteilen will.

Wie kommen wir zu diesen Zeitangaben, die scheinbar allem widersprechen, was heute wissenschaftlich als gültig angesehen wird? So ist einer der ältesten religiösen Texte, die wir besitzen sicherlich der Rig-Veda der Inder, dessen Kodifizierung nach Meinung der westlichen Gelehrten ungefähr um 2500 vor Christus statt fand, und der älteste philosophische Ansatz, den wir in der westlichen Philosophie gelten lassen, der des Thales von Milet ist, der im sechsten Jahrhundert vor Christus in Jonien wirkte, und Orphiker war.

Dass der Mensch schon seit Jahrmillionen in einer gewissen Weise räumlich begreift, wissen wir aus den Funden unzähliger Faustkeile. Um 1,5 Mio Jahre vor Christus gab es schon Konstruktionen, die Perspektivität erforderten, also die Fähigkeit, eine Sache aus verschiedenen Blickwinkeln als dieselbe zu erkennen. Aber wir wissen aus einem anderen Artefaktfund, dass der Mensch erst viel später begann, sich Gedanken darüber zu machen, wer er ist und damit gleichsam, wo er ist. So schreibt D. Roland Müller:

„Irgendwann kam der Mensch dazu, vier Himmelsrichtungen zu unterscheiden. Das Abbild dieser Vorstellung findet sich auf sogenannten Nummuliten: kleinen Scheibchen mit einem Linienkreuz. Die ältesten davon sind etwa 100 000 Jahre alt.“**

Wir müssen uns fragen: Warum macht sich der Mensch eine solche Arbeit, Linien auf eine Steinscheibe zu gravieren? Ginge es um Richtungen, so könnte er sich mit zwei über Kreuz gelegten Stöcken weitaus einfacher behelfen. Aber Stöcke sind irgendwann nicht mehr da. Sie brechen, sie verwittern, man verliert sie. Aber eine derartige Arbeit – auf die wird der Mensch gut achtgeben und vorsichtig sein bei ihrem Gebrauch. Auch wird sie nicht einfach verloren, sondern von der Nachwelt weiter gebraucht, gesetztenfalls sie versteht das Geheimnis ihrer Anwendung. Der Grund ist also in der Besonderheit des Festgehaltenen zu suchen, die auch den Wunsch nach Überlieferung weckte.

Nehmen wir dieses Verhalten als Ausgangspunkt und blicken auf eines der ersten sicheren Ergebnisse 97500 Jahre später, so erkennen wir, dass er sich in dieser Zeitspanne geistig vornehmlich damit beschäftigt hatte, die Welt aus seinem persönlichen Empfinden und den daraus resultierenden Wahrnehmungen und Erfahrungen zu deuten. Das Ergebnis dieser Deutung waren die Götter. Wir wollen das am Beispiel des vedischen Feuergottes Agni näher erläutern. Schauen wir uns folgendes Zitat aus einer der Hymnen des Rig-Veda an, nämlich der 71ten Hymne des ersten Liederkreises, genauer der vierten Strophe:

1.71.4. Als ihn verteilt der Matarisvan aus (dem Holze) rieb und der Rötlichschimmernde in jedem Hause heimisch wurde, da besorgte der Bhrgavana (d.h. Agni) das Botenamt wie der Begleiter für einen mächtigeren König"***

Agni ist der vedische Gott des Elementes Feuer. Er ist das Feuer aller Götter, das Feuer der Sonne (des Gottes Surya), das Feuer der Blitze des Gottes Indra genauso wie das Herdfeuer der Brahmanen. Er ist, wie wir aus zahlreichen anderen Hymnen erfahren, hauptsächlich der Bote, der das Opfer zu den Göttern, die Götter zu dem Opfer und den Brahmanen zu den Göttern führt – er ist der Mittler des Opferrituals. Dieses Zitat enthält eine für damalige Auskünfte ziemlich präzise Zeitangabe, wann Agni zu dem wurde, was er ist – nämlich als er in allen Häusern heimisch wurde. Und er wurde heimisch, als der Mensch begann, sich nieder zu lassen, Häuser zu bauen und Felder zu bestellen, also zwischen 12 000 und 5 000 vor Christus.

Erinnern wir uns, dass der Mensch vor seiner Sesshaft-Werdung als Nomade umher zog. Eine ständig wechselnde Umgebung machten empirische Erkenntnis nur im Bezug auf die gleichbleibenden Faktoren möglich so wie Fährtensuche, Jagd-Taktik, Verhalten von Beute, die Bewegungen der Gestirne usw. Ständig wechselnde Bedingungen, also andere geographische Position, andere Beute, andere Herausforderungen waren eine große Belastung. Dementsprechend wandte der Mensch sich an seine Konstanten und machte sie zu Göttern, also die Rinder, den Himmel, die Sonne, das Feuer, den Wind usw. Warum machte er sie zu Göttern? Weil er eine Erfahrung machte, die die Existenz eines Gottes wahrscheinlich macht, wenn man nicht über andere Erlärungsmodelle verfügt, und im Einzelfall sogar, obwohl man über sie verfügt. Eine Gotteserfahrung muss nicht visuell sein, eines muss sie aber immer sein – emotional. Und man versuchte, diese emotionale Bindung an die Konstanten zu festigen, und zwar mit Hilfe von Ritualen.

Insofern ist ein Ritual schon immer praktikabel und ergebnisorientiert nützlich gewesen, und es stellt sich die Religion als Fortschritt dahin gehend heraus, dass sie das Leben verständlicher, erlebnisreicher und erträglicher machte. Jetzt kann man aber nur durch Praxis erfahren, wogegen oder wozu ein Ritual nützt – so ist es zu erklären, welchen Status die rituelle Praxis einnahm: erstens war es im indirekten Sinne eine Möglichkeit durch Beobachten am Göttlichen teil zu haben, und andererseits war es schlechthin unmöglich, die Nutzlosigkeit von Ritualen im Bezug auf alles Mögliche nachzuweisen, weil die empirische Grundlage fehlte. Wenn eine Jagd erfolgreich war, so hatte das Ritual gewirkt. War sie es nicht, so konnte menschliches Fehlverhalten nicht ausgeschlossen werden, womit nicht nachzuweisen war, ob das Ritual nicht gewirkt hatte. Und letzten Endes konnte es am Schamanen gelegen haben, der nicht im Stande war, eine Verbindung zu den Göttern aufzubauen, wohingegen das Ritual fehlerlos blieb. Ja nur der Schamane war überhaupt in der Lage, Rituale zu verändern, weil jeder andere gar nicht gewusst hätte, was er denn tun solle. So etwas wie das poppersche Falsifikationskriterium**** hätte der Mensch damals gar nicht denken können. Wir sehen, dass notwendige Schwächen dafür sorgten, dass Religion einen ritualistischen Weg einschlug, sie aber im Ursprung experimentelles Ausprobieren gewesen sein muss und in dieser Zeit unglaubliche Erfolge feierte. Es ist der ritualisierten Kontemplation zu verdanken, dass der Mensch auf intellektuellem Niveau Fortschritte machte.

Als er sesshaft wurde, konnte der Mensch ganz andere Beobachtungen machen und sah sich mit anderen Problemen konfrontiert. Es musste gezählt werden und geschrieben, gebaut und gemessen. Zwar lag der geistige Tonus immer noch fast ausschließlich auf der Religion, aber der Mensch begann, Dinge wie die pythagoräische Formel zu entwickeln, die nach heutigem Wissen bereits die Babylonier um 1800 vor Christus kannten. In dieser Zeit begann sich ein geistiger Gegenpol zu entwickeln, heraus aus Entdeckungen, die eigentlich Mittel und Zweck der Religion oder des Profanen gewesen waren. Und aus diesem Grunde verlege ich die Anfänge der Philosophie in die letzte Phase der Sesshaftwerdung, weil zu diesem Zeitpunkt damit begonnen wurde, ein Gegengewicht zur rein emotionalen Erklärung der Welt zu schaffen.

Es hat sich nun nach etwa 100 000 Jahren Gedanken machen über die Welt folgendes erwiesen: um neue Artefakte zu erfinden, Krankheiten zu heilen, Beinbrüche zu schienen, den Menschen zum Mond zu schicken oder unser Umfeld in diesem Sinne produktiv zu beschreiben, hat sich die wissenschaftliche Sprache und deren Blickwinkel als der Beste erwiesen. Um die innere seelisch-emotionale Welt des Einzelnen mit der der anderen zu koordinieren, hat sich die religiöse Sprache als die Beste erwiesen. Die Philosophische Betrachtung, die Anteile an beidem hat, ist geeignet dazu, die Welt so zu beschreiben, dass wir sie für unser alltägliches Miteinander gebrauchen können.

Warum ist das wichtig? Ich habe Sprache in den vorherigen Texten eine Hure genannt, und falls nicht, so möchte ich das hiermit tun: Sprache ist eine Hure – sie macht alles mit jedem, der weiß, wie sie zu nehmen ist. Und weil Sprache eine Hure ist, stellt sie uns allerhand Fallen, die, wenn wir in sie hinein tappen, der Sprache ihren Lohn für ihre Hurerei einbringen. Allein deswegen ist es wichtig zu wissen, dass verschiedene Sprachen nicht nur verschiedene Grammatiken und semantische Bezüge, sondern auch verschiedene Anwendungsgebiete aufweisen. Will heißen – eine religiöse und eine wissenschaftliche Sichtweise berühren sich gar nicht und können sich deswegen auch niemals widersprechen. Sie haben Streitigkeiten nur dann, wenn die eine sich anmaßt, den Acker der anderen zu bestellen. Ein knappes Beispiel: Emotionen sind elektromagnetische und biomechanische Prozesse im Körper, auch wenn sie Teil einer „göttlichen Vision“ sind. Aber es heißt noch nicht, dass, bloß weil wir ein Erklärungsmodell haben, sie nicht dennoch eine göttliche Vision darstellen, die, eben weil der Mensch nur bemerkt, wozu er einen Erkenntnisapparat besitzt, genau denselben Weg in die Wirklichkeit nehmen muss, wie alles andere.

Wenn die Sprache der Religion, die Sprache der Wissenschaft und die Sprache der Philosophie doch alles Huren sind, so ist die Philosophie dennoch die Puffmutter des Trios. Sie bestimmt letzten Endes, was die Zimmer kosten und was ihre Mädchen nehmen müssen, um über die Runden zu kommen. In anderen Worten – der Alltag bestimmt das Leben – Objekte und die Emotionen spielen dem Alltag zu und werden zu Spielsteinen im großen Spiel Leben, dass durch die Dynamik der Beziehungen der Lebenden untereinander bestimmt wird. Aus diesem Grunde beschäftigte sich zum Beispiel Sokrates vor allem mit ethischen Belangen. Denn die Ethik bestimmt die Grenzen der Wissenschaft und die Grenzen der eigenen Persönlichkeitsrechte. Ein jeder darf glauben oder erdenken und erfinden, was er will – aber er darf es niemandem einfach aufzwingen oder verfügbar machen, ohne die Konsequenzen zu bedenken.

Wir hatten in der Geschichte der Menschheit noch keine Zeit, in der dieses Bezugsverhältnis zwischen Philosophie, Wissenschaft und Religion tatsächlich anerkannt gewirkt hätte. Im Grunde ist es ja auch eine Definition, die man unter anderen Gesichtspunkten sicher anders treffen würde. Dennoch ist für unsere Belange nur diese eine und keine andere sinnvoll. Warum, das werde ich im nächsten Beitrag erläutern…


*Bertrand Russell, „Die Philosophie des Abendlandes“, Europa Verlag, Zürich 1950

**http://www.muellerscience.com/FRUEHMENSCH/Modellgebrauch/Modelle.ArchaeologischeSpekulationen.lang.htm (besucht am 05.08.07 um 20:00 Uhr MEZ)

***übersetzt von Karl Friedrich Geldner

****Es besagt, dass eine Theorie nicht allein deswegen richtig sein muss, weil wir keine Ausnahme finden können, denn es könnte irgendwo eine Ausnahme geben. So können wir streng genommen eine Theorie niemals verifizieren, sondern sie solange benutzen, bis wir ihr endlich nachweisen, dass sie falsch ist.


Impressum siehe
http://wandersteinsgedanken.blogger.de/stories/1035974/

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 16. Februar 2008
Der Preis des Lebens (3) - Zerbrechlichkeit
"Still I hear the scream of thousands:
Crucify, crucify!!!
Take it all
Our gold, our homes, our life,
But we didn't kill your Christ!!
Reach out for your holy grail
Enslave us and make us
Your god's sacrifice!!"

- Blind Guardian, The Script For My Requiem, on Imaginations from the other Side, 1995


Wenn ich ehrlich über mein Leben berichten sollte, so stünde ich vor einem unlösbaren Problem. Denn wie soll ich wissen, ob ich mich letztendlich nicht doch selbst verfälsche? Insofern ist Ehrlichkeit nur indirekt möglich, indem ich bekenne, ein Lügner zu sein. Wenn ich dieses aber bekenne, so das alte philosophische Problem, kann man mir dieses denn glauben? Kann ich mir glauben?

Ein Satz auf dem Papier ist noch kein Meisterstück. Aber eine Antwort zu finden auf eine nicht gestellte Frage – wie soll das angehen? Was ist Existenz, wenn das, was sie umrahmt, bereits vergangen ist und das, was sie im Inneren begrenzt, erst noch geschieht? Gut 2300 Jahre sind vergangen, seit der Philosoph* den Augenblick erfand – wie viele davon mögen bewusst gelebt worden sein, und nicht einfach nur flüchtig zerfallen in das, was war und sein hätte können; wenn zwischen den Grenzen sich nichts befindet denn ein schmaler Grat ohne Substanz? Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Wer bestimmt, was geschah, nachdem es gewesen ist?

Wir beginnen von vorne, und zwar mit dem Zählen. Vor dem Philosophen und den Philosophen waren die Mystiker, die eben auch mit dem Zählen begannen. Und wie so oft in der Mystik beginnt alles im Nichts, das kein Nichts ist, der Null. Mathematisch lässt sich das beispielsweise so ausdrücken: [-1 + 1 = 0]. Gewiss, es ist nichts, aber da steht dennoch eine Formel, die dieses Nichts ausdrückt. Ähnlich stellen sich die Mystiker nahezu aller Zeiten den Ursprung der Welt vor. Wenn nun diese Formel sich aus welchem Grund auch immer auflöst**, erscheinen ihre Teile, und zwar zunächst eine Eins [-1 + 1 = 0 |+1]. Wir sehen, wenn wir die Formel durchrechnen, dass zwei Einsen erscheinen, nämlich [1=1]. Das heißt nach den Regeln der Mystiker, dass das Universum als eine undividierbare Einheit nur sehr kurz besteht, und sodann in zwei Teile auseinander fällt, nämlich der Zwei. Da wir ab der zwei irgendetwas messen können, ist der folgende Vorgang für die Mystiker weniger interessant als der Anfang, wo nach ihrem Glauben eine absolute Einheit hergestellt ist, die sie wieder zu erlangen versuchen. Soweit die eine Seite. Die andere Seite beginnt in etwa, schätzen wir, grob 30 000 Jahre seit Beginn des Mystizismus, wenn wir bei den Schamanen wandernder Menschensippen beginnen, die 33 000 Jahre vor Christus Rituale in Höhlen zelebrierten, oder Bilder an die Felswände malten.

Betrachten wir nun folgendes Zitat aus dem zehnten Buch der aristotelischen Physik: „Die kleinste Zahl, diesen Begriff allgemein genommen, ist die Zwei.“*** Das hat im Grunde zwei einfache Gründe, oder vielmehr: wir reduzieren es auf zwei einfache Gründe – zum einen braucht da, wo eins ist, nicht gezählt zu werden. Mit einem einzigen lässt sich kein logischer Gedanke formulieren. Damit eine Logik funktioniert, muss das Universum mindestens zwei enthalten. Zum anderen ist alles, was vor der Zwei kommt, keiner Beobachtung zugänglich. Auch Aristoteles setzt die Eins, den so genannten unbewegten Beweger als Ursprung der Welt. Die Mystiker sagen aber, entweder das Universum ist leer, also null, oder es enthält nur eines; die darauf folgende Zwei, die entstehende materielle Welt und die darin existierenden Wesen sind eigentlich nur Illusion.

Dieser von Aristoteles entfachte Streit ist bis heute nicht gelöst worden. Entfacht durch Aristoteles deshalb, weil es vor ihm keine nennenswerte Gegenposition gab, die dem mystischen Ursprungsglauben so wenig Respekt zollte. Wir sagen in zweifacher Weise, dass es für die westliche Welt wichtig war: nach seiner Aufteilung teilte sich die Wissenschaft in Gebiete ein, und seine Art, die Welt allein aus der Beobachtung und dem logischen Denken zu erklären, ist bis heute den Wissenschaftsgeist bildend.

Wechseln wir den Blickwinkel. Unser Leben verläuft zwischen der Welt, die wir in unseren Träumen und Wünschen erfahren und der Welt, die wir die „harte Realität“ nennen. Unsere Träume/Wünsche sind nicht real. Sie sind nicht wirklich, sie entstehen quasi aus dem Nichts, jedoch nicht wirklich aus dem Nichts, weil etwas anderes, dass wir nicht beobachten können, nämlich biochemische Prozesse, Affekte und Emotionen und uns verschlossene Eindrücke sich in Metaphern und Bildern ausdrücken, die wir wiederum erfahren. Wenn ein Beobachter auf das Wogen seiner Emotionen trifft, dann entsteht etwas, was er sehen kann – nämlich sich selbst, verborgen unter Metaphern. In der Wirklichkeit trifft der Mensch jedoch auf ein erkennbar von ihm Verschiedenes, und kann somit seine Grenzen bestimmen. Seine Grenzen sind diejenigen, die sein Geist nicht zu überwinden im Stande ist, denn die Welt, die er erfährt, ist, wie seit Kant im Grunde Konsens, nur ein Bild der Welt, dass mehr von der Struktur der Sinne bestimmt wird als von dem, was da draußen tatsächlich ist. Da er um einen solchen Sachverhalt wissen kann, übersteigt das Vermögen des Geistes das Vermögen der Sinne dahingehend, dass er Wissen sammeln kann, das die Information der Sinnesorgane übersteigt. Wir sagen demnach so: die Grenzen der Realität sind das wirklich Werden der Wünsche oder das Erschöpfen der Fähigkeit des Menschen, an die Wahrhaftigkeit seiner Träume zu glauben. Wenn wir sagen, dass ein Mensch zerbricht, dann meinen wir eigentlich damit, dass seine Fähigkeit, an die Wahrheit seiner Träume zu glauben, erschöpft ist.

Wir alle zerbrechen, und zwar aus folgendem Umstand: weil es wahrscheinlicher ist, angenommen, man würde eine Milliarde Jahre alt, im Lotto zu gewinnen, wenn man nur in hundert Millionen Jahren spielt, als durch eine Wand zu laufen, obwohl man eine Milliarde Jahre nichts anderes tut als gegen Wände zu laufen. Es ist nicht unmöglich…nur verflucht nochmal verdammt unwahrscheinlich. Nun wissen wir nicht im Voraus, welche Träume Lottogewinne sind, und welche Wände. Man könnte fast sagen:

Die Wirklichkeit ist die Erfolgsquote der Traumwelt.

Oder anders formuliert: wir sind zu jedem Zeitpunkt das, was die Vergangenheit von unseren Träumen übrig ließ, oder vielmehr, was wir übrig behalten haben können. Wir erkennen ohne Schwierigkeiten die beiden maßgebenden Faktoren: die Art und Weise unserer Träume sowie unser Potential, trotz allem an ihre Wahrheit zu glauben. Es gibt Träume, die das Potential jedweden Menschen zu übersteigen scheinen. Es gibt Menschen, die unter widrigsten Umständen an ihren Träumen festhalten. Gesetzt dieser Rahmenpunkte ist offensichtlich wenn auch unbequem, dass es nicht an der Realität sondern an uns hängt, inwiefern wir unsere Träume, die in gewisser Form wir selbst sind, verlieren oder eben nicht.

Man kann es so sehen, als dass wir selbst ja schon ein Traum sind, an den geglaubt wurde, weswegen wir existieren und nicht an den Wänden der Realität zerbrochen sind wie andere, die schon vor der Geburt oder kurz nachher ihr Leben wieder verlieren. Dieser Glaube kann, so lange der Mensch noch keine Sprache besitzt und damit kein begriffliches Vorstellungsvermögen, also auch keinen „Glauben an irgend etwas“ besitzt, nur von außen kommen. Ob und wieviel Glaube von außen kommt, hängt nun aber, nehmen wir unsere kleine Theorie für zutreffend, vom Glaubenden ab und nicht von dem Objekt des Glaubens – uns. So findet die Realität in uns Einzug und verbindet die innere mit der äußeren Welt – über den Glauben und die Träume der anderen.

Kommen wir auf Aristoteles zurück, um unsere Problematik abzurunden: der, durch die anderen in ihm geschaffene Bezug zur dinglichen Wirklichkeit war ihm nicht genug und geriet in Konflikt mit seinen eigenen Ansichten. So war er schon zu seiner Zeit an Platos Akademie als Andersdenkender bekannt und wohl auch mit grimmig erwiesenem Respekt geachtet. Und nach Platos Tod, nachdem ein anderer die Leitung der Akademie übernahm und Aristoteles diese verließ, begann er, seine Gedanken zu lehren und aufzuschreiben, und sich aus den Trümmern des alten einen neuen Bezug aufzubauen.

Aus den Trümmern der Träume der anderen zimmern wir unsere eigenen Träume und messen sie an ihrem Erfolg, oder werden von anderen durch deren Träume gemessen. Realität nennen wir die Träume, die dieses Maß überstehen. Unsere eigene Realität ist deswegen zerbrechlich, weil sie mit zweierlei Maß gemessen wird: unserem eignen und dem der anderen, und jedesmal, wenn die Maße nicht übereinstimmen, wird unsere Fähigkeit, an unsere Träume zu glauben, auf die Probe gestellt.

Dass manche Träume zerbrechen müssen, weil ihr Zerbrechen Leben bedeutet, ist ein Umstand, der unseren Sachverhalt zusätzlich kompliziert. Manche Wände müssen eingerannt, und manche Lottogewinne verweigert werden. Letztendlich ist es so, dass doch nur die eigenen Träume gezählt werden, weil alle Träume aus der Null in die Welt treten, und ihre Gestalt, wenn sie in der Welt sind, anders ist, als wenn sie entstehen. Und so werden die in uns gelegten Träume, die eigentlich nicht unsere sind, unsere Kraft zu glauben aufbrauchen.

Seine Träume suchen, sein Maß finden, seine Realität entdecken, die Bedeutungen dieser Floskeln sind alle synonym – es ist der Inbegriff dessen, was es bedeutet, herauszufinden, wer man ist. Und um sich zu entdecken, müssen manche Träume zerbrechen.



*Gemeint ist hier Aristoteles. Thomas von Aquin begann in seinen Werken nur noch vom „Philosophen“ zu sprechen, wenn er Aristoteles meinte.

**
Sogar die ältesten mystischen Schriften wie der Rig-Veda weigern sich, einen Grund dafür zu benennen. Die folgende Stelle ist aus der Übersetzung nach Karl Friedrich Geldner zitiert:
„Woraus diese Schöpfung sich entwickelt hat, ob er sie gemacht hat oder nicht - der der Aufseher dieser Welt im höchsten Himmel ist, der allein weiß es, es sei denn, dass auch er es nicht weiß."
- Rig-Veda 10,129.7

***Aristoteles, Physik, Buch IV, Kapitel XII




Impressum

http://wandersteinsgedanken.blogger.de/stories/1035974/

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 5. Februar 2008
Der Preis des Lebens (2) - Gewissheit
Hauptteil:
Eigentlich ist das Leben ganz einfach, solange wir den Boden der Tatsachen nicht verlassen. Der Boden der Tatsachen ist eigentlich kein Boden und kann folglich weder als klein noch als groß beschrieben werden Der Boden ist nämlich selbst eine Tatsache, die nicht groß oder klein sein kann, denn dazu bräuchte es die „Böden der Tatsachen“. Er ist ein Axiom, jene nicht näher zu beweisenden Tatsachen, auf denen unsere Paradigmen stehen.

Man stellt sich also auf eine Tatsache und versucht von dort aus auf eine weitere Tatsache zu klettern, immer weiter nach oben. Manchmal muss man wieder runter klettern, weil man keine weitere Tatsache mehr erreicht. Aber wo sind die Tatsachen? Sie befinden sich in einem Raum, dass wissen wir, weil alles, was ist, irgendwo sein muss, sonst kann es nicht sprachlich ausgedrückt werden. Weil also alles so ausgedrückt wird, als wäre es irgendwo, müssen auch Tatsachen irgendwo sein, ganz einfach deswegen, weil die Sprache es erlaubt, nach dem Ort der Tatsache zu fragen. Und ob diese Frage berechtigt ist oder nicht, hängt nicht von ihrem Wortlaut ab, sondern von dem Sinn, indem der Antwortende sie interpretiert.

Die Tatsachen befinden sich also im Raum. Es ist der logische Raum, das ist klar, weil er Tatsachen enthält. Ein Raum ist nur dann ein Raum, wenn er etwas enthält, und wenn er etwas enthält, so hat er Richtungen. Diese Richtungen können wir aber nur anhand des Inhaltes bestimmen. Demnach bestimmen die Tatsachen den Raum. Ohne Eigenschaften bestimmen zu können, können wir nicht von etwas sagen, dass es existiert. Wäre der logische Raum also leer, würde er nicht existieren. Die Tatsachen sind demnach der logische Raum. Oder auch – der Raum ist eine Emergenz* einer Tatsache, was wiederum eine Tatsache ist. Der Raum ist eine Tatsache. Der Boden der Tatsachen ist auch eine Tatsache. Tatsachen sind demnach in sich selbst, fußen auf sich selbst und existieren durch sich selbst – somit kommen einer Tatsache durchweg alle Eigenschaften des Göttlichen zu, woraus wir zweierlei schließen können – entweder, Gott ist eine Tatsache, oder es gibt keine Tatsachen.

Wir sehen eindeutig: Sprache ist ein Spiel, wie Wittgenstein schon sagte**. Wenn Sprache ein Spiel ist, dann ist es auch die menschliche Welt, ja das Menschsein überhaupt, dass untrennbar mit der Sprache in welcher Form auch immer verbunden ist. Wenn das Leben ein Spiel ist, so muss man fragen, welche Regeln es enthält. Die Antwort darauf ist denkbar einfach – das Spielfeld bestimmt das maximale Potential jedweder Möglichkeiten, will heißen, die Naturwissenschaften sowie ihre Gegenstände bilden den sichtbaren Rahmen der Welt, die absolute Wirklichkeit, wie auch immer sie beschaffen sein mag, den unsichtbaren. Da ihr Gebiet und damit auch das der sie erforschenden Naturwissenschaften zu groß ist, um es endlich zu nennen, müssen wir sagen, dass die Welt am Rand keine Grenzen aufweist. Das Spielfeld ist demnach neutral, niemand kann einfach irgendwo hin gedrängt werden, es sei denn durch sein eigenes Unvermögen oder eine Übermacht bzw. seines Unvermögens, gegen diese zu stehen.

Die Regeln des Spiels werden von den Spielern bestimmt, die sich, in welcher Form auch immer auf diese Regeln geeinigt haben. Gibt es Regeln, so werden sie gebrochen. Das geschieht wahrscheinlich, weil es unwahrscheinlich ist, dass alle Spieler sich auf eine Regel einigen. Der Tod beendet das Spiel. Das ist immer so und es wird keine Ausnahme gemacht. Deswegen kann der Tod nicht als Verlieren betrachtet werden, sondern ist Teil des Spiels. Verloren hat, wer nicht gewinnt. Gewonnen hat, wer nicht verliert. Über Sieg oder Niederlage bestimmt niemand denn der Spieler selbst. Das mag uns nach längerem Nachdenken nicht gefallen, ist aber trotzdem so.

Kommentar:
Wir sehen, wie Sprache mit unserem Leben spielt und unser Leben mit der Sprache. Die Frage nach der Relevanz dieses Sprachspiels ist die Frage nach der Natur des Referenten des Wortes "Bedeutung". die Darstellung des oftmals ungerechten, harten, leidhaften und unbequemen Lebens als ein Spiel mag so manchem aufstoßen, was mit dem Referenten eben der Bedeutung des Wortes "Spiel" zusammen hängt. Mit der Washeit*** des Referenten werden wir uns jedoch zukünftig auseinander setzen.


*zum Emergenzbegriff siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Emergenz

**Die Sprache als logisches Konstrukt beschreibt Wittgenstein in seinem "Tractatus Logico Philosophicus" (Erstveröffentl. 1921). Die Sprache als Spiel wird von Ludwig Wittgenstein in seinem Werk "Philosophische Untersuchungen" (Erstveröffentl. 1953) beschrieben. Beide Werke sind bei Suhrkamp erhältlich

***zur "Washeit" oder "Quiditas" siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Washeit




Impressum siehe
http://wandersteinsgedanken.blogger.de/stories/1035974/

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 1. Februar 2008
Der Preis des Lebens (1)- Bedeutung
Alles in der Welt, sogar die Überprüfung dieses Sachverhaltes, hat seinen Preis. Es ist eine gute Frage, warum das so ist, denn dies ist keineswegs eine Sache der sprachlichen Darstellung, sondern eine Sache des bewussten Gemüts. Das Bewusstsein hingegen ist zum Teil eine sprachliche Angelegenheit, das heißt nichts anderes, als dass es letztendlich dann doch wieder daran hängt, wie wir es formulieren. Der Mensch unterscheidet sich unter anderem dadurch vom Tier, dass er mehr sein können will als er ist. Wir nennen das Streben. „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“* Goethe sagt das nicht von ungefähr. Es ist dann doch äußerst schwierig, tatsächlich etwas zu Stande zu bringen, was Bedeutung hat.

Was Bedeutung hat, hängt davon ab, wie wir den Begriff verstehen und wie dieses Verständnis mit unserem Empfinden von Bedeutung korrespondiert. Bedeutung ist demnach etwas, was in den Menschen ausgelöst wird. Die Frage des Preises ist dem Sinn nach stets eine „Wenn-Dann-Frage“. Denn wenn ein Zustand eintritt, dann können andere Zustände nicht eintreten. Der Preis ist deswegen unvermeidlich, weil die Welt Augenblick für Augenblick aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit heraus tritt. Und jedem Wirklich Werden geht die Möglichkeit verlustig. Wirklich im Sinne von relevant wird ein Ding in unserer Erfahrungswelt in dem Augenblick, in dem es Bedeutung in uns auslöst. Somit ist der Preis aller Dinge die Reduzierung der Momente von Bedeutung dahin gehend, dass wir sie mit einem einzigen Objekt oder einer Klasse von Objekten verknüpfen. Bedeutung heißt ja im Grunde nichts anderes, als das ein Objekt aus dem Nebel des alltäglichen Hintergrundrauschens heraus in die Klarheit der persönlichen Beziehung rückt, denn indem es in mir etwas auslöst, wird es mir auch gleichsam näher bekannt. In kurzen Worten: Jeder einzelne Schritt im Leben hat seinen Preis, aber ohne einen Schritt zu tun, kommt man nicht von der Stelle.

Es gibt kein Wesen unter unseren Himmeln, das so wunderbare Dilemmata und Rätsel von Geburt an aufbekommt, wie den Menschen. Das Hin und her gerissen sein zwischen dem Wunsch, mehr zu sein als wir sind, dem Wunsch nichts auszulassen und der Gewissheit, dass wir niemals mehr sein können und jeder Schritt eine irreversible Entscheidung bedeutet, ist es, die das Leben so schwer macht. Die wirkliche Herausforderung des Menschen stellt nicht die Meisterung der Natur dar, sondern das Aushalten all seinen Wünschens. Oder sagen wir es so: ein jeder Wunsch ist im Grunde der Wunsch nach Bedeutung. Jedes Erfüllen dieses Wunsches bedeutet einen Schritt und damit das Versagen von anderer Bedeutung. Die Bedeutungen formen unser Leben. Um den Film „The Crow“ zu zitieren: „Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst, du bekommst es vielleicht“. Die Frage ist doch: Sind wir uns im Vorherein über die möglichen Konsequenzen unserer Wünsche oder besser Bedürfnisse nach Bedeutung im Klaren? Nein, sind wir nicht – können wir nicht. Können uns alle uns der Möglichkeit nach bekannten Konsequenzen bekannt sein? Theoretisch ja – nur lässt die betreffende Situation zumeist eine derart umfangreiche Introspektion nicht zu. Es ergibt sich eine gewisse Hilflosigkeit dem eigenen Leben gegenüber, die sich aus dem notwendigen „aus-dem-Bauch-heraus-entscheiden“ ergibt. Wir können demnach nicht wissen, ob der Preis nicht höher ist als der Gewinn und müssen dennoch eine Entscheidung fällen.

Ob wir gewinnen oder verlieren, immer wird in uns Bedeutung ausgelöst. Quasi jeder Schritt, den wir tun, liefert uns Bedeutung, und wenn wir bedenken, dass jeder Mensch, ohne Ausnahme nur eine endliche Liste von Schritten hat, die er gehen kann, hat jeder Mensch im Grunde die gleiche Menge an Bedeutung, gemessen an der Anzahl seiner Schritte gehabt. Ein bedeutungsloses Leben kann demnach nur eines sein, indem keine Schritte gemacht wurden. Wir müssen schließlich mit unserem Leben leben. Insofern kommt es hauptsächlich auf die Bedeutung an, die wir selbst unserem Leben verleihen und diese ist an die Anzahl der Schritte geknüpft, die wir in unserem Leben gehen, nicht an dessen Dauer. Das ist einer der Witze des Lebens, dass seine Dauer im Grunde in Schritten bemessen wird, deren Währung die Augenblicke sind, die sich im aristotelischen Sinne nicht in der Zeit befinden, weil in ihnen keine Zeit vergeht. Auch Wittgenstein bemerkte in seinem Tractatus trocken, dass derjenige ewig lebt, der in der Gegenwart lebt. Der Preis ist also die Frage nach der Bewertung der Bedeutung von positiv oder negativ. Es ist eine Frage des eigenen Selbst, wie groß der Preis und wie groß der Gewinn ist. Misst man dieses an der Anzahl der freiwillig Lebenden, ist der Gewinn anscheinend immer noch höher als der Preis, wie hoch dieser auch sein mag. Das Leben in der Sprache, soviel will ich noch bemerken, ist wahrlich eine sehr seltsame Form von Wahnsinn.


*Goethe, (Faust II, 5. Akt, Bergschluchten, Vers 11936f)



Impressum siehe:
http://wandersteinsgedanken.blogger.de/stories/1035974/

... link (0 Kommentare)   ... comment